[:de]Thilo Seevers – Auszug (Releasedate: 15.08.2022)[:en]Thilo Seevers – Auszug (Releasdate: 15.08.2022)[:]

Home » News » [:de]Thilo Seevers – Auszug (Releasedate: 15.08.2022)[:en]Thilo Seevers – Auszug (Releasdate: 15.08.2022)[:]

[:de]Thilo Seevers – Auszug (Releasedate: 15.08.2022)[:en]Thilo Seevers – Auszug (Releasdate: 15.08.2022)[:]

Posted on

 

Der Pianist, Komponist und Arrangeur Thilo Seevers macht Musik zur Zeit. Logisch, mag man denken. Musik ereignet sich ja schließlich in der Zeit. Darauf wird in wissenschaftlichen Betrachtungen von Tonkunst gerne hingewiesen. Thilo Seevers ist seinem Selbstverständnis nach jedoch weder Alchemist noch Sammler allgemeingültiger Erkenntnisse. Anders verhält es sich indes mit selbstgewonnenen Erkenntnissen und Einsichten, womit sich der Kreis zur Zeit wieder schließt. 2022 führt bekanntlich keine Epoche brüderlicher Liebe an. Das viele weltpolitische und gesellschaftliche Hauen und Stechen kann – je nach Sichtweise – als allumgreifendes Merkmal des Jetzt betrachtet werden. Dieses Symptom ist hingegen freilich kein neues. Die „verrückte Zeit“ beobachtete nicht nur Thilo Seevers bereits in der Schule: sinnbildliches Kräftemessen, Ellenbogenverhalten. Unzählige Heranwachsende kennen das Unterteilen in Gewinner und Verlierer. Bereits damals war ihm danach, dem dividierenden Treiben etwas Sensibles, etwas Schönes entgegenzustellen. Ihm stand der Sinn danach, das Feinfühlige mit Hoffnung zu nähren. Heute hat er das Verbindliche und Verbindende als Tugend verinnerlicht.

Seevers Solo-Debütalbum „Auszug“ ist Musik zur Zeit, weil es dem Allgegenwärtigen mit Verletzlichkeit trotzt. Es will hinaus in die Welt, möchte ein Ort der Begegnung und Verständigung sein. Senden und empfangen. Zufällig begegnen sich zwei vermeintlich Fremde auf der Straße. Die Blicke sind mit blitzschnell-intuitiv getroffenen Empfindungen aufeinander gerichtet. Jedes Du meint auch das Ich. Wir erkennen uns in den Augen des Gegenübers. Darf die Empathie sein, fallen die trennenden Pronomen zum Wohl des Wir weg. Ein wichtiger Wegweiser zum Mitgefühl war für Seevers ein längerer Aufenthalt in Brasilien, wo es für den Bremer zwischen Elend und Reichtum, dem Verneinen von Kulturnationalismus und Ausbeutung, Hoffnung und Leid, viel zu erkunden gab. In Salvador de Bahia wuchs sein Gespür für Musik als geordnete Schönheit. Die erklärt sich nach dem Hörgenuss der neun „Auszug“-Stücke von allein. Seevers will es so, denn der Kunst ist nichts abträglicher als eine Packungsbeilage.

So verhält es sich auch mit dem Titel. „Auszug“ – was soll das sein? Der Ausdruck von Nacktheit? Das Manifest eines Menschen, der auszog, um sich selbst zu finden? Oder ist er die Parabel eines Suchenden, der anerkennen muss, niemals fündig werden zu können? Jede Zuhörerin, jeder Zuhörer darf im „Auszug“-Albumtitel erkennen, was es für sie oder für ihn zu erkennen gilt.

Die innewohnende Ermutigung zum Platzschaffen für die individuelle Vorstellungskraft ist durchaus gewollt. Gleichwohl zieht sich ein Narrativ durch „Auszug“, dessen Kapitelabfolge reichlich Sinn für Dramaturgie, Form und Variation aufweist. So spielt sich Seevers’ Eigenkomposition „Metropole bei Mitternacht“ ausschließlich im unteren Drittel des Klangregisters seines Flügels ab. Sein Arrangement des Philipp Nicolai-Chorals „Wie schön leuchtete der Morgenstern“ ist genau entgegengesetzt im oberen Drittel, schwebend und offen angesiedelt. „After Dark“ ragt vergleichsweise mächtig, satt-dicht orchestriert aus dem „Auszug“-Spielplan hervor. Das Stück aus Seevers’ Feder braucht größtmögliche Fläche, um dem imaginären Dialog zwischen Aaron Parks, Franz Liszt, Shai Maestro und Ambrose Akinmusire gebührenden Platz einzuräumen.

„Auszug“ ist nicht zuletzt auch ein Kunststück in Sachen Dynamik. Ruhe trifft darin auf spannungsgeladene Akzente. Metrische Essenzen bündelt Seevers aufbruchsfreudig, um darüber mit feinem Phrasierungspinselstrich Melodien voller Schönheit zu setzen. Dabei entsteht eine Art moderne, sowohl das Ländliche wie auch das Urbane streifende Musik, deren Wurzeln einerseits in der Klassik, anderseits im Jazz begründet liegen. Musik ist allseits viel zu leidenschaftlich im Reisen begriffen, als dass sie sich von Fundamentalisten oder Nationalisten jedweder Art vereinnahmen lassen würde.  Sie wandert von einer Person zur nächsten, von einem Land zum anderen, von Kontinent zu Kontinent. Sie fußt oft auf Erprobtem, das von regionalen Besonderheiten angereichert wird, sie bringt Menschen mit ihrem beständigen Umrunden der Erde zusammen. Seit Jahrhunderten. Frisch, neugierig, neuartig. Die komplette Menschheitsgeschichte hindurch wies Kunst den Weg Richtung Innovation. Deswegen ist auch jene sublime Folk-Anmutung unbedingt Musik zur Zeit, die in „Auszug“, der vielschichtig-vorausschauenden Solo-Einspielung von Thilo Seevers, sozusagen als guter, konstruktiver Geist mitschwingt.

 

Vita Thilo Seevers

1993 in Bremen geboren, begann Thilo Seevers im Alter von fünf Jahren mit dem Klavierspiel, bald kamen Akkordeon, Waldhorn und Chor hinzu. Als Jugendlicher gewann er 1. Preise bei klassischen Wettbewerben wie dem Steinway-Wettbewerb (Deutschland), Bach-Wettbewerb (Estland), Neuhaus-Wettbewerb (Ukraine). Im Alter von 11 Jahren trat er als Solist eines Klavierkonzertes von J.S. Bach mit dem Stadtorchester Narva (Estland) auf. Im Laufe der Zeit konzentrierte Thilo sich mehr und mehr auf seine Leidenschaft für kreatives Musizieren und das Spiel nach Gehör. Ein Austauschjahr im brasilianischen Salvador da Bahia verlagerte den Fokus weiter auf improvisierte Musik. So entstand die Entscheidung, am renommierten Jazzinstitut in Graz Klavier zu studieren.

Heute lebt der Deutsch-Österreicher in Berlin und verwebt seine vielfältigen Einflüsse zu genreübergreifender, zeitgenössischer Instrumentalmusik. Zuletzt veröffentlichte er in Kollaboration mit Sounddesigner Uli Rennert bzw. der slowenischen Sängerin Ana Čop die Alben HOME und ACTS!, die ein breites Spektrum von meditativer Ambient Music über Modern Mainstream Jazz bis hin zu atonaler Improvisation abbilden. Mit dem Thilo Seevers Ensemble veröffentlichte er zwei weitere Alben im Klaviertrio-Format.

Als Gast erscheint er auf Veröffentlichungen von Moped Loewen (Ungarn), Jonatan Sarikoski (Finnland), Veronika Vítová (Tschechien), Roland Hanslmeier, Cropolhubra, Saint Chameleon und Granada (alle Österreich). Insgesamt konzertierte er in 16 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas. Mit „AUSZUG“ fügt er seiner Diskographie sein erstes Soloalbum hinzu.