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Ron Carter – Jazz & Bossa
(Blue Note, VÖ: 22.08.08) Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Bossa Nova hat sich auch der legendäre Jazzbassist Ron Carter dazu entschlossen, aus dem Brunnen dieser so lebhaften und beseelten Musikform Brasiliens zu schöpfen, was er ohnehin schon etliche Male im Laufe seiner Karriere getan hat. Er hat nicht nur mit dem Gründervater der Bossa Nova, Antonio Carlos Jobim, einige seiner bahnbrechenden US-Alben eingespielt (darunter „Wave“ aus dem Jahr 1967 und „Stone Flower“ aus dem Jahr 1970, beide von Creed Taylor produziert), sondern er hat in all den Jahren auch immer wieder brasilianische Musik in seine Aufnahmen einfließen lassen, besonders umfassend auf seinem bemerkenswerten Somethin‘-Else-Album „Orfeu“ aus dem Jahr 1999.
Mit dem schwelgerischen Album „Jazz & Bossa“ setzt Carter seine fesselnde Erkundung der Beziehungen zwischen Jazz und Bossa Nova fort und verknüpft die beiden Musikstile auf intime Weise miteinander – wobei er sich grundsätzlich den Bossa-Nova-Stücken mit dem Jazzvokabular nähert und die Sensibilität der Bossas in Jazzgefilde überführt. Von den neun von Robert Freedman arrangierten Songs auf „Jazz & Bossa“ stammen drei Kompositionen von brasilianischen Musikern (darunter Jobims „Chega des Saudade (No More Blues)“, das gemeinsam mit „Desafinado“ die Geburtsstunde der Bossa Nova markierte). Neben Benny Golsons Standard „Whisper Not“ enthält das Album fünf Kompositionen aus Carters Repertoire, die seine mehr als 30 Jahre währende Beziehung zur brasilianischen Musik Revue passieren lassen, darunter „Ah, Rio“, „De Samba“, „Por-Do-Sol“, „Obrigado“ und „Saudade“. Beim letztgenannten Stück, ein Gitarrensolostück am Ende des Albums, ist der Komponist erstmals auf einem seiner Alben lediglich Zuhörer.
„Auch wenn ich einige Stücke schon zuvor einmal aufgenommen habe, spiele ich sie nun auf andere Weise und in anderer musikalischer Umgebung“, bemerkt Carter. „Das sind keine Updates, sondern sie veranschaulichen, dass ich heute die Musik ganz anders wahrnehme als vor 20, 30 Jahren. Es ist wie bei Künstlern wie Miles, die immer wieder auf ihr Repertoire zurückgegriffen und es in ganz neuem Licht gesehen haben.“
Auf „Jazz & Bossa“ wird Carter von zwei Musikern seines Quartetts begleitet: von dem Pianisten Stephen Scott und dem Perkussionisten Rolando Morales-Matos. Hinzu kommen sein langjähriger Freund, der Saxophonist Javon Jackson, sowie die beiden brasilianischen Musiker Guilherme Monteiro (Gitarre) und Portinho (Schlagzeug).
„Ganz gleich, wie gut amerikanische Musiker den Bossa-Nova-Beat beherrschen, Brasilianer spielen ihn anders“, so Carter. „Ich wusste, wenn dieses Album so werden sollte, wie ich es mir vorgestellt hatte, musste ich Brasilianer beteiligen. Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder mit Portinho gespielt und Guilherme kenne ich auch schon seit einigen Jahren. Ich wusste, dass sie einen großartigen Job machen würden. Die schwierigste Aufgabe war, sie zu erwischen, denn sie sind kontinuierlich unterwegs, immer auf dem Sprung nach Rio oder von Rio weg.“
Was Morales-Matos betrifft, der ursprünglich aus Puerto Rico stammt, heuerte Carter ihn an, um mit Pfeifen, Tamburin, Triangel und Handtrommeln die Rhythmen zu verstärken, zumal die beiden oft darüber gesprochen hatten, dass sich der Perkussionist besonders wohl fühlt, wenn er im brasilianischen Stil spielt. Carter ist jedenfalls äußerst zufrieden mit dem, was sein Perkussionist hier geleistet hat. Das gilt nicht minder für Scott, der seit 20 Jahren mit Carter als Musiker zusammenarbeitet. „Stephen und ich haben einige Male Brasilien besucht und haben nach Musik Ausschau gehalten, um zu sehen, wie die Musiker füreinander schreiben und komponieren. Und während Guilherme den Rhythmus hielt, konnte Stephen sich ganz seinen Soli widmen, ohne großartig auf die Rhythmus-Sektion zu achten. So funktioniert das in den meisten brasilianischen Bands, wo es eigentlich immer ein, zwei Gitarristen und einen Pianisten gibt, um den Rhythmus fließen zu lassen.“
Dem Album „Jazz & Bossa“ liegt ein ungewöhnliches, übergreifendes Konzept zugrunde, das die Größe des Ensembles betrifft: Es beginnt mit der Aufnahme eines kompletten Sextetts und endet schließlich mit einem Sologitarrenstück. Carter erklärt dies in den Linernotes: „Das Konzept war, von einer großen Besetzung – und einem großen Sound – ausgehend zu immer kleineren Gruppen zu kommen und mit einem einzelnen Spieler zu enden. Das ist wie ein Roman mit einer komplexen Handlung, die am Ende zu einer Lösung kommt.“
Carter legte die Schlussnote ganz in Monteiros Hände: Über „Saudade“, ein Stück, das Carter fürs Album „Orfeu“ geschrieben hatte, diskutierten die beiden ausführlich während der Proben – über die Akkorde, die Melodie, die Intention. „Guilherme spielte ein bisschen und ich sagte ihm, er solle es erst einmal sein lassen“, erinnert sich Carter. „Ich wollte den Song bis zur Studio-Session marinieren lassen. Ich sagte ihm, ‘Ok, es ist dein Job, die Geschichte zu beenden‘. Das ist der perfekte Ausklang. Als ob es acht Stücke braucht, um herauszufinden, dass der Butler der Mörder war.“
„Jazz & Bossa“ beginnt mit einem schwungvoll aufspielenden Sextett und der lebhaften Version von „Salt Song“, einer Komposition von Milton Nascimento und Romero Lubambo. Feines Zusammenspiel von Gitarre und Tenorsaxophon, helle Pianoklänge, ein Break, der in einen Perkussion-Teil mündet, und ein Rhythmus-Jam zum Ende kennzeichnen die Aufnahme. Es folgt eine brasilianisch getränkte Interpretation von Golsons „Whisper Not“. „Der Song ist großartig, aber der Basslauf ist durch die Melodie nahezu diktiert“, meint Carter. „Ich wollte das etwas ändern, dem Song ein brasilianisches Gefühl geben, so, als wäre er von Jobim.“ Bei diesem Track spielen Tenorsaxophon und Piano einprägsam unisono und jedem Solo folgt ein Percussion-Einschub.
Zu den beiden anderen brasilianischen Stücken gehört „Chega de Saudade“, die Hymne des Bossa-Nova-Jubiläums, die Carter hier zum allerersten Mal interpretiert. Erstmals gehört hatte er den Song in den 60ern, als er von Dizzy Gillespie und seiner Band gespielt wurde und wie eine Bop-Nummer klang. „Dizzy spielte den Song, als hätte er ihn erfunden“, erzählt Carter. „Ich wollte die Bop-Idee beibehalten, aber uns doch wie eine brasilianische Band spielen lassen.“ Hier ist der Bassist mit einem seiner besten Soli des Albums zu hören – tief groovende Basslinien mit jenen charakteristischen, gleitenden Übergängen. Der andere brasilianische Song ist Jobims „Wave“, das Carter seinerzeit mit dem Songwriter gemeinsam aufgenommen hatte. Das luftige Gitarre-Bass-Duo wurde anders arrangiert als das Original. „Das war deswegen schwer, weil ich ständig Toms Klang im Ohr hatte. Ich schickte Bob das Original mit der Bitte, es so nicht zu arrangieren, weil ich es vielleicht sonst gar nicht spielen könnte.“
Neben „Saudade“ wurde für „Jazz & Bossa“ auf zwei weitere Carter-Stücke von seinem Album „Orfeu“ zurückgegriffen: das tanzbeseelte „Obrigado“, ausgestattet mit einem neuen Freedman-Arrangement, und „Por-Do-Sol“, eine lebhaft sonnige Bossa-Nummer, die Carter „klanglich für einen der strahlendsten Songs des Albums“ hält. Eine kochende Samba mit glühendem Bass ist hingegen „De Samba“, erstmals veröffentlicht auf Carters Album „Anything Goes“ (Kudu/CTI) aus dem Jahr 1975. „Auch von diesem Song habe ich Bob eine Kopie geschickt mit der Bemerkung, dass das Stück mehr als 30 Jahre alt ist. Lass uns das nicht wiederholen, sondern in eine komplett andere Zone eintauchen.“
Einer der stärksten Tracks auf „Jazz & Bossa“ ist das süßlich melodische „Ah, Rio“, das auf die erste Begegnung von Carter mit der Bossa Nova zurückführt: den 1959er Filmklassiker „Black Orpheus“, dessen Soundtrack von Jobim und Luiz Balfa stammt. „Ah, Rio“ nahm Carter 1980 für sein Album „Patrão“ (Milestone Records) auf. Seitdem ist Carter regelmäßig nach Brasilien gereist (erstmals 1988), was die neue Version beeinflusst hat, insbesondere die Pracht von Rio de Janeiro. „Es ist allein schon atemberaubend, nach Rio zu fliegen. Man sieht die Sonne aufgehen, die Christusstatue und dann, wenn man landet, bekommt man gleich das Gefühl für diese Kultur. Da kann man vor Ehrfurcht erstarren.“
Ron Carter legt eine Pause ein und sagt dann, das gesamte Album „Jazz & Bossa“ transportiere dieses Gefühl, von der Schönheit der aufregenden Landschaft bis zu den rhythmischen Klanggebilden der Bossa Nova. Und es gebe noch so viel mehr zu entdecken: „Jedesmal, wenn ich nach Brasilien komme, höre ich genau hin. Ich lausche, in welche Richtung die Brasilianer ihre Musik lenken.“
So kann man sicher davon ausgehen, dass die nächste CD von Carter mit brasilianischem Flair einmal mehr mit einer völlig neuen Betrachtungsweise dieses Landes und seiner Musik aufwarten wird. Wie Carter selbst so schön sagt: „Man lernt eben nie aus“.
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