Antonio Lizana – Una Realidad Diferente (Releasedate: 22.05.2020)

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Antonio Lizana – Una Realidad Diferente (Releasedate: 22.05.2020)

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Die musikalische Muttersprache des 34 Jahre jungen Antonio Lizana ist der Nuevo Flamenco. Aber der Andalusier hätte sich nicht als weltweit vielbeachtete Kreativkraft und Star der neuen Flamenco-Deutung etablieren können, wenn er ausschließlich seinen künstlerischen Ziehvätern gefolgt wäre. Der Name des Flötisten und Saxofonisten Jorge Pardo – einst Teil von Paco de Lucias Sextett – fällt ebenso wie der des Jazzpianisten Chano Dominguez, wenn Lizana seine „Kreativ-Eltern“ benennt. Vom Sänger Camarón de la Isla, der mit beinahe übersinnlicher Stimme gesegnet war, ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite des Atlantiks waren es die Granden der Improvisationsmusik, Charlie Parker und der Spiritual-Jazz John Coltranes, die ihn nachhaltig beeinflussten.

Seit drei Alben verdichtet Antonio Lizana als Saxofonist, Sänger, Komponist und Bandleader die für ihn vollkommen selbstverständlich ineinandergreifenden, perspektivischen
Möglichkeiten des Jazz und des Nuevo Flamenco zu einer tiefen, beseelten Aussage. Sein neues Album Una Realidad Diferente (Eine andere Realität) ist Antonio Lizana in seiner Essenz: Leidenschaftlich, fortschrittlich und zutiefst freiheitlich-modern geprägt. Gleichzeitig bündelt der Mann aus der vom Meer umschlungenen, spanischen Hafenstadt Cádiz seine Musik erstmals beinahe ausschließlich in Song-Formen. Und er beweist damit eindrücklich, dass die Zukunft orthodox geprägter Musikformen nur gestalten kann, wer ihre Tradition studiert und verstanden hat.

Una Realidad Diferente – den Titel seines neuen Albums hat Antonio Lizana mit Bedacht gewählt. Und mit dem Wunsch, seine Musik möglichst treffsicher zu beschreiben, wie er erzählt. Der Titel der Platte drückt zum einen meine musikalische Vision als ursprünglich traditionell geprägter Flamenco-Begeisterter aus. Zum anderen umschreibt er aber auch meinen Ausbruch von der oft konservativ geprägten Flamenco-Auffassung. Ich versuche, die Essenz des Flamenco, seine Dramaturgie, zu bewahren und in einem anderen Kontext wiederzubeleben. Außerdem sind meine Texte vom Heute geprägt, was meine Musik vom traditionellen Flamenco unterscheidet. Im klassischen Flamenco werden immer noch Geschichten erzählt, die vor 100 Jahren relevant waren. Ich möchte über die Realitäten singen, die uns heute beschäftigen.

Dazu zählt für den Lockenkopf mit dem jungenhaften Charme, in dessen Sprechduktus eine entwaffnende Offenheit mitschwingt, unbedingt seine Form von Erweckungslyrik. Die andere Realität, von der in seinem neuen Album erzählt, ist vielmehr vom Aufzeigen der Gemeinsamkeiten aller Menschen geprägt als von der spaltenden Kraft, die ihm im alltäglichen Gegeneinander der Gegenwart begegnet. Dass er seine Gedanken in seinen Texten weniger belehrend als vielmehr mitfühlend artikuliert, lässt sie umso sympathischer erscheinen. Überhaupt ist Antonio Lizana keiner, der die Wahrheit für sich gepachtet hat und großes Aufheben um sich macht. Dass er vorzugsweise barfuß auf die Bühne geht, mag spleenig erscheinen. Dem 1,80 Meter großen Südspanier, der es gewohnt ist, ohne Schuhe über die warme Erde seiner Heimat zu schreiten, ist es schlicht ein Bedürfnis, sich auch auf der Bühne schuhlos daheim fühlen zu können. Aber das ist nur eine unbedeutende Nebensächlichkeit. Wichtig ist ihm vor allem die Musik.

Die Ausgestaltung von „Un Realidad Diferente“ bedurfte erstmals in Antonio Lizanas Karriere eines verhältnismäßig hohen Produktionsaufwands. Waren es bis zum letzten Album vornehmlich Flamenco-Jazz-Kompositionen, in denen seine Stimme hier und da wie ein Instrument ein-arrangiert hatte, dominieren diesmal klare Song-Strukturen, die Antonios Gesang gebührenden Platz bieten. Allerdings in überaus freien Räumen. In denen stiftet er seine Band zu beinahe transzendentalen Dialogen an. Des Jazzrocks mit seinen stetig wechselnden Metren bedienen sich Lizana und seine Musiker über weite Strecken als rhythmische Grundierung. „Mora“ sprintet von Andalusien rüber in den Orient, greift dort beheimatete Percussion auf, bevor der warmfarbige, spanisch-orientalische Klangkörper sich an einem unbestimmten Ort der freien Musik öffnet.

Me Cambiaron Los Tiempos, das Plädoyer für ständige Selbstreflexion und den Mut, Veränderungen zuzulassen, nimmt sich in seiner weiten instrumentalen Gestaltung wie ein Draht zu Lizanas früheren Alben aus. Wenn er darin vor dem Gesangsmikro steht, wartet er mit markerschütternd-beseelten Lauten auf, die in ihrer Eindringlichkeit an Nusrat Fateh Ali Khan erinnern. Das aus seiner Stimme erwachende Synth-Solo führt das dramatische Geschehen als kleines Zwischenspiel zu einem swingenden Saxofon-Monolog, der ein atemberaubend schnellgeschlagenes Crescendo im Seguiriya-Flamenco-Rhythmus ankündigt. Demselben Pulsmuster folgt auch das Titelstück Una Realidad Diferente – allerdings in der halben Geschwindigkeit. Für die Melodielinie ließ sich Lizana dazu von traditionellem Flamenco inspirieren.

Michael League von Snarky Puppy verknüpfte Lizana mit der amerikanischen Jazz-Chanteuse Becca Stevens, die sich im Folk-inspirierten Flamenco-Stück „Carry Me“ das Mikro mit Antonio
teilt und für feine gesangliche Kontraste sorgt. Während die insgesamt neun neuen Stücke von Una Realidad Diferente hin und wieder Richtung Progressive Flamenco ausscheren, filtern sie zusammengenommen vor allem die nunmehr längst gefundene, eigene musikalische Muttersprache Antonio Lizanas. Die ist sich ihrer Herkunft unbedingt bewusst und sie findet gerade deshalb kontinuierlich neue Anknüpfungspunkte, mit denen Lizana kraftvolle, klischeefreie Motive voller Schönheit kreiert. Voller unterschiedlicher, anderer
Schönheit: Una Realidad Diferente.

Tracklist
01. Mora
02. Carry You (feat. Becca Stevens)
03. El pez
04. Mambé
05. Me cambiaron los tiempos
06. El garrotín
07. Soy testigo
08. Vida pasjera
09. Una realidad diferente

Besetzung
Saxophone: Antonio Lizana
Vocals: Antonio Lizana, Becca Stevens
Trumpet: Miron Rafajlovik
Guitar: Josemi Carmona
Bass: Jesús Caparrós Caballero
Chorus: Mawi de Cádiz, Milagrosa Expósito
Contra-Bassoon: Pablo Martín Caminero
Viola: Isabel Juárez
Violin: Mourin Choi, Yuri Rapoport
Violoncello: Javier Romero
Claps: Adrián Trujillo