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[:de]Angela Puxi – Isle On Fire (Releasedate: 20.03.2020)[:]
[:de]Geschichten harmonisch spannend, metrisch abwechslungsreich, und im Melodienverständnis
einprägsam zu erzählen, ist jedem frei dialogisierenden Musiker ein Tugendgebot. In jedweder
Ensemblegröße. Die Empfehlung an Solisten, nicht nur eine Geschichte, sondern ihre Geschichten
zu erzählen, mag abgedroschen klingen. Aber keine andere Disziplin hat in der Momentan-Musik
größeren Radius nach sich gezogen als das Storytelling. Lester Young, dessen beispielhaftes Jazz-
Verständnis den Übergang von Swing zu BeBop markierte, war das Storyteller-Bewusstsein längst
ins Blut übergegangen als er junge Musiker mahnte: „Spieltechnisch seid Ihr hip. Aber was habt
Ihr zu erzählen?“.
Die Saxofonistin, Komponistin und Bandleaderin Angela Puxi, unterstrich bereits mit ihrem
Einstiegsalbum Badapapapaa, wie vortrefflich sich eine eigene Geschichte erzählen lässt. Vor
allem, wenn man sich solistischer Brillanz ermächtigen kann. Sie kann. Und sie erklärt die
Kombination aus spieltechnischem Können und musikalischem Narrativ auf ihrem neuen Album
Isle Of Fire zur Königsdisziplin. Isle Of Fire offenbart die sardischen Wurzeln der Musikerin in 10
impressionistischen Etappen, die einem Tagestripp über Sardinien, der Insel ihrer Eltern,
gleichen. In der näheren Umgebung, aber doch entfernt genug, um nicht gleich einen religiösen
Bezug herstellen zu müssen, ertönt am Anfang des Titelstücks, das in die Platte führt, eine
Kirchenglocke.
Puxi greift deren Pulsmuster am Sopran-Sax auf, das wie eine Art improvisierte
Erwachungsstimme anmutet, die Sardiniens warme Erde mit dem Spirituellen in Verbindung
bringt. Das Tempo ist in konstanter Veränderung begriffen, das Saxofon bestimmt das klangliche
und metrische Geschehen in beinahe mystischer Erzählweise. Und wenn gegen Ende die
traditionell-sardischen Hirten-Blasinstrumente Launeddas das beinahe tanzartige Finale des
Stücks verkünden, ist man vom Charme der jubelnden Refrains Puxis längst eingenommen. Die
werden im zweiten Stück Maylow vom reichen Akkordverständnis des Pianisten Volker Dorsch
flankiert, während Bernhard Spiess Madre Terra an Schlagzeug und Percussion nonchalant mit
detailreicher Groove-Dichte veredelt.
Kontrabassist Volker Kamp setzt zusammen mit Spiess im wortlos gesungenen Mittelteil des
arabisch anmutenden Travelling beinahe Prog-Rock-Akzente – federleicht und doch prägnant
formuliert. Oft sind es Stimmungen, kleine atmosphärische Verschiebungen, die Angela Puxis
Songs bestimmen. Der Fokus liegt derweil klar auf Melodien und Strukturen. Vom Entree bis zum
Ende von Isle Of Fire bleibt die Musik so schön im Fluss, dass man beinahe zum Gedanken
verleitet werden kann, die 10 Stücke seien komplett durchkomponiert wurden. Weit gefehlt. Zwar
geben Kernthemen den einzelnen Songs jeweils Identitäten vor, aber die Räume, in denen sie
spielen, sind offen genug fürs Improvisieren und Dialogisieren.
Die Gelassenheit, mit der die Musik einerseits spielt, aber auch das Temperament, dessen
Lebhaftigkeit sich andererseits durch Isle Of Fire zieht, lassen augenscheinlich an Sardinien als
Aufnahmeort denken. Entstanden ist das Album aber viel weiter nördlich, im Düsseldorfer Elrond’s
House Tonstudio – quasi ums Eck von Angela Puxis derzeitigem Ruhrgebiets-Wohnort.
Aufgewaschen am Niederrhein in Moers, zählen die traditionellen Tenores-Gesänge der sardischen
Dorffeste zu ihren frühesten musikalischen Erinnerungen. Ein paar Jahre später, mit 8 Jahren,
spielten in Puxis Walkman bereits Herbie Hancock und Wayne Shorter – dem großen Bruder war’s
geschuldet. 2 Jahre später waren Archie Shepp und Grover Washington ihre Hausgötter.
Mit 16 dann das erste Saxofon, Musikschule, Studium an der Hochschule der Künste in Arnheim,
Holland, Gründungen der Angela Puxi Band und des Angela Puxi Quartetts, Veröffentlichungen der
ersten eigenen EP und des Debütalbums, eine Tour durch Riesenarenen mit dem weltweit
angesagten Schweizer Duo Yello – alles mit ständigem, selbstkritischem Hinterfragen. Exakt diese
pausenlose Reibung, dieses spürbare Ringen um jede Note, zeichnet Angela Puxis Musik aus.
Nicht ein Isle Of Fire-Ton ist dahingeschludert, in jedem Moment geht’s darum, dem Heiligtum
Musik mit größtmöglicher emotionaler Intensität und Demut zu begegnen. Das ist ein fraglos
mühsames, aber lohnenswertes Unterfangen. Eins, das unmittelbare Nachvollziehbarkeit aus den
Mühen und Impulsen heraus entstehen lässt.
Während das Tenor-Sax über dem repetitiven Piano-Muster in Porto Cagliari der Wehmut zuspielt,
erzählt Abbracciami von der sinnlichen Wahrnehmung Sardiniens. Da ist der schwere Geruch von
Rauch, von verbrannter Erde im Sommer nach Brandrodungen von Feldern. Die einzigartige,
olfaktorische Wahrnehmung der Mittelmeer-Insel bestimmt gleichzeitig aber auch das ständige
Flora-Wachstum, die Kräuter, das Macchia-Gestrüpp, der Rosmarin. Wenn Ninna Nanna am
Schluss passenderweise in Folksong-Manier aus Isle Of Fire geleitet, hat Angela Puxi ihre
Geschichte so nachhaltig eindrücklich erzählt, dass man in deren Nuancen- und Detailreichtum
immer wieder eintauchen möchte – um sich von der Schönheit ihrer Musik kontinuierlich
einnehmen zu lassen.[:]