Stacey Kent – The Changing Lights (+Tour)

Home » Allgemein » Stacey Kent – The Changing Lights (+Tour)

Stacey Kent – The Changing Lights (+Tour)

Posted on

STACEY KENT - SK_AlbumCover (Parlophone, VÖ: 27.09.2013)
Der Kritiker Gilles Tordjman schrieb einst, Brasilien sei keine Nation, sondern „eine Region des Herzens, in der alles dem Klang einer stärkeren und präziseren Vibration zu folgen scheint“. Diesen Satz könnte auch Stacey Kent zweifellos für sich beanspruchen.
Im Alter von 14 Jahren entdeckte die amerikanische Sängerin den grenzenlosen Charme des Albums Getz / Gilberto – eine geradezu historische Begegnung mit dem Jazz und Bossa Nova, nach der nichts mehr so war wie zuvor. Im Laufe einer musikalischen Reise, in der sie sich frei in den Gefilden von Jazz und Songs bewegte, entwickelte sich Brasilien in ihren Augen zu mehr als nur einem Land: sie verinnerlichte es förmlich als eine Art poetischen Horizont, als auserwähltes Land mit vertrauten Konturen, das wunderbar zu den Proportionen ihrer Seele, ihres Gesangs und ihrer Inspiration passte. Egal, ob sie es wortwörtlich mit ihren Coverversionen von Stücken von Tom Jobim, Sergio Mendes oder Luiz Bonfá feiert oder seinen Geist durch die Finesse ihrer Darbietung heraufbeschwört – Stacey Kent hat die emotionalen Bande, die sie mit der brasilianischen Musik verbinden, nie gelöst. Sie spricht mehrere Sprachen, ist überaus kenntnisreich und hat einen Abschluss in vergleichender Literaturwissenschaft und dennoch könnte man sie als ewige Studentin bezeichnen, die stets ihrer Leidenschaft gefolgt ist – so weit, dass sie nicht nur die portugiesische Sprache gelernt, sondern auch großes Interesse an der kulturellen und politischen Geschichte der riesigen auriverde Nation zeigt.

Es ist diese Leidenschaft aus Tiefgründigkeit und Leichtigkeit, die ihr gesamtes zehntes Album durchzieht. The Changing Lights ist aber nicht „Stacey Kents brasilianische Platte“. Es gleicht eher einer Erholungspause oder einer Klangpostkarte als einer langweiligen Stilübung. In Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann und Partner, dem englischen Saxofonisten, Komponisten und Arrangeur Jim Tomlinson, zeigt Stacey Kent darauf schlicht all die sensiblen Eigenschaften einer Musikerin, für die Brasilien zuallererst eines repräsentiert: „eine Region des Herzens“.

Die Sängerin, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwischen England und Colorado pendelte, hielt es dabei jedoch nicht für nötig, in Rio de Janeiro ins Studio zu gehen. In Sussex, wo die Aufnahmen für The Changing Lights stattfanden, umgab sie sich stattdessen mit ihrer engsten musikalischen Garde: Jim Tomlinson an Flöte, Tenor- und Sopransaxofon, Graham Harvey am Klavier, Jeremy Brown am Bass, John Parricelli an der Gitarre und Matt Home und Josh Morrison am Schlagzeug. Auch Roberto Menescal, der legendäre brasilianische Gitarrist und Komponist, lieh ihr für zwei Stücke des Albums sein Talent. So konnte sie in guter Gesellschaft in die ebenso turbulenten wie einladenden Wogen eines Gefühls eintauchen, das ihr sehr vertraut ist: jene schwelgerische, vergängliche Mischung aus Freude und Traurigkeit, die unter dem bittersüßen Namen „saudade“ bekannt ist. „Bei diesem Album im Besonderen, aber auch in meiner musikalischen Welt im Allgemeinen, ist dieses Wort ein wichtiger Grundpfeiler“, so die Sängerin. „Es hat keine Entsprechung in anderen Sprachen, und die brasilianische Musik hat ihm einen ganz eigenen Klang verliehen. Aber es steht für ein universelles Gefühl, das der menschlichen Natur zu eigen ist: eine vage Nostalgie für all das, was wir verloren, aber auch all das, was wir nie besessen oder erfahren haben. Ich denke hier besonders an den Text des Liedes Samba Saravah (Samba de Benção): ‚Mas pra fazer um samba com beleza, é preciso um bocado de tristeza. – Doch um einen wundervollen Samba zu erschaffen, braucht man ein klein wenig Traurigkeit.‘ Das ist die Atmo-sphäre, die wir auf The Changing Lights schaffen wollten. Auf dieser spirituellen, emotionalen Ebene ist dies ein zutiefst brasilianisches Album.“

Tatsächlich zieht sich von Anfang bis Ende eine gewisse Melancholie durch das Werk, die stets zwischen Licht und Dunkelheit schwankt: Befreit von der Last des Pathos und des Pomp, vereint dieses Helldunkel mit seltener Präzision all das strahlende Funkeln und den Herzschmerz des wahren Lebens. Das Album eröffnet mit einer leichtfüßigen Neuinterpretation von This Happy Madness, einer Adaption von Estrada Branca von Tom Jobim und Vinícius de Moraes, gefolgt von The Summer We Crossed Europe in the Rain, einem originellen Song, der in leichten Tönen ein romantisches Nomadendasein heraufbeschwört und dessen harmonisches, melodisches und poetisches Geflecht den perfekten musikalischen Teppich für Stacey Kents Stimme bereitet. Allein diese beiden Stücke, die scheinbar perfekt aufeinander abgestimmt und einander zu umarmen scheinen wie langjährige Liebende, verkünden bereits, welche Magie von diesem Album ausgeht. Auf The Changing Lights treffen sich Klassiker des brasilianischen Repertoires und Kompositionen von Jim Tomlinson, und gemeinsam lösen sie alle räumlichen und zeitlichen Grenzen auf: In diesem wunderbaren Moment, in dem sich Spiel und Gesang vereinen, hören wir, wie eine intensive Komplizenschaft entsteht. „Nach Liedern zu suchen, die zusammenpassen und erst in der Vereinigung ihre wahre Magie entfalten, das ist eine meiner größten Freuden“, sagt Stacey Kent. „Die Freude, die The Changing Lights mir schenkt, ist vor allem auch dem Gleichgewicht zwischen den Eigenkompositionen und den Coverversionen zu verdanken. Zwischen ihnen herrscht eine Art Wellenbewegung, so als ob sie einfach zusammengehören.“

Diese wunderbare Alchemie findet man auf der gesamten Platte. So schwingt etwa der Rhythmus des Evergreens One Note Samba (Tom Jobim/Newton Mendonça) in den lebendigen, schelmisch-virtuosen Passagen von Waiter, oh Waiter mit. Die Noten, die in Mais Uma Vez, der Chronik einer verlorenen und wiedergefundenen Liebe, auf den Hörer niederprasseln, klingen noch lange nach. Fast könnte man sie für die aufwühlende Erweiterung der Harmonien eines weiteren berühmten Klassikers des Duos Jobim/de Moraes halten, How Insensitive: ein bewegender Song über das Sichtrennen und Bedauern, den Stacey Kent mit einer ganz neuen, leicht bebenden Zartheit bereichert. Die geradezu ätherischen Melodien von Like a Lover (Dori Caymmi) und The Face I Love (Marcos Valle) erfüllen sämtliche Wünsche, die erst ein wenig später mit Chanson Légère auftauchen, in dem Stacey Kent auf Französisch von einem Refrain träumt, der dahinschwebt „wie eine Seifenblase, eine Wattewolke, ein Schmetterlingsflügel“. Im Herzen des Albums findet sich eine Instrumentalversion von O Bêbado e a Equilibrista von João Bosco, die sich wie das Wasser einer geheimnisvollen Quelle in die kristallklaren Fluten von Smile von Charlie Chaplin ergießt.
Diese Dialoge und Verbindungen wären unmöglich gewesen ohne den hohen künstlerischen Standard, der der konzeptuellen Entstehung von The Changing Lights zugrunde lag. Auf der musikali-schen Seite spinnen die Kompositionen und Arrangements von Jim Tomlinson ein Netz schier endloser Zartheit, dessen Detailreichtum den Fluss und die Stimmigkeit des Albums jedoch nie bein-trächtigen. „Ich habe für das Ensemble geschrieben, als sei es nur eine Gitarre“, erklärt er sowohl den typischen brasilianischen Rhythmus und harmonischen Reichtum, die sich beim Hören des Albums entfalten, als auch das Gefühl der Einheit und Harmonie, die das Ensemble ausstrahlt. Auch Roberto Menescal hat mit dem speziellen Arrangement seines Klassikers O Barquinho aus dem Jahr 1960 zum Gitarrensound des Albums beigetragen und darüber hinaus Tomlinsons A Tarde seine charakteristische Handschrift verpasst.

Was die poetische Seite betrifft, so konnte sich Stacey Kent auf Texter verlassen, die mit den Subtilitäten ihrer Empfindsamkeit bestens vertraut sind. Der Schriftsteller Kazuo Ishiguro, ein langjähriger Vertrauter und Bewunderer, der sowohl den Text für The Summer We Crossed Euro-pe in the Rain als auch für Waiter, oh Waiter verfasst hat, schenkt der Sängerin mit dem Titelsong The Changing Lights einen außergewöhnlichen impressionistischen inneren Monolog, der sie in die Langsamkeit und die geisterhaft-sinnlichen Wirren der Erinnerung abtauchen lässt. Neben Mais Uma Vez steuerte der Dichter Antonio Ladeira, den Stacey Kent und Jim Tomlinson am Middlebury College kennenlernten, als sie in die Freuden der portugiesischen Sprache eingeführt wurden, auch den Text für A Tarde zum Album bei: eine Variation der Themen Trennung, Abwesenheit, Erinnerung und ultramoderne Einsamkeit, betrachtet mit den Augen einer Frau, die über die Stadt sinniert, in der auch ihre Jugendliebe lebt. Bernie Beaupère, der bereits für Stacey Kents Album Raconte-moi, schrieb, vollendet den Kreis der inspirierenden Dichter mit Chanson Légère. Zu ihren Schreibern sagt Stacey Kent: „Sie sind viel mehr als Songschreiber, die Texte verfassen. Wenn sie schreiben, denken sie dabei an meine Stimme und meine Empfindsamkeit. Dank ihnen kann ich mich in meiner Darbietung wirklich ausdrücken und gehe ganz in den Liedern auf.“

Mit The Changing Lights erreicht Stacey Kent eine noch höhere Ebene der Klangpräzision und zarten Ausdruckskraft. Im Einklang mit dem Ensemble, das sie begleitet, erliegt sie nie der Versuchung der Selbstdarstellung oder des Überflusses. Mit ihrer Sangeskunst, durch die sie sich von vielen ihrer Zeitgenossen absetzt, steigt sie in neue Sphären der Ruhe, Intensität und Klarheit auf. „Ich arbeite noch immer an meiner Stimme“, gesteht sie mit entwaffnender Bescheidenheit. „Ich versuche, so gut zu singen, wie ich kann, ganz einfach, weil das mein Beruf ist und mein Grund, zu leben. Ich bin nun mal ein sehr intensiver Mensch und ich kann nicht anders, als der Musik auf diese Weise zu begegnen. Aber ich tue das nicht auf laute, extrovertierte Art: Gefühlswellen, egal, ob Freude oder Traurigkeit, drücke ich ganz ruhig aus, weil ich die Geschichten, die sie transportieren, auf die bestmögliche Weise erzählen will. Und auf The Changing Lights gibt es viele Geschichten, darum war es auch wichtig, die Lieder so gut zu singen, wie ich kann.“

Genau aus diesem Grund überzeugt die Stimme von Stacey Kent, die sich auf dem Höhepunkt ihrer interpretatorischen Fähigkeiten befindet, auf diesem Album mehr denn je mit ihrer ebenso grandiosen wie komplexen und klaren Ausdrucksfähigkeit. Unter der zitternden Oberfläche ihres Gesangs warten unzählige Strömungen und Kräfte nur darauf, entdeckt zu werden. Sie versteht es wie kein anderer, diesen steten Wechsel von Ebbe und Flut der Gefühle, dieses Raunen zwi-schen Unsicherheit und Gelassenheit, Verstörung und Ruhe in Harmonie zu vereinen.

Jim Tomlinson umschreibt die Worte von Kazuo Ishiguro so: „Staceys Stil erinnert mich an die besten Filmschauspieler. Sobald die Kamera läuft, entwickeln sie einen anderen Stil als Theaterschauspieler, die gezwungen sind, ihre Stimmen und Gesten so anzupassen, dass sie im ganzen Theater gehört werden. Bei einem Film kann ein Schauspieler mit ganz wenig sehr viel erreichen, egal, ob es dabei um seinen Ausdruck, seine Gesten, seinen Tonfall oder den Klang seiner Stimme geht. Ich glaube, dass wir mit Stacey auf dieselbe Weise einen Musikstil schaffen, bei dem selbst die kleinsten Gesten große Bedeutung haben können.“

Und genau durch diesen Nuancenreichtum, der auch die schwindelerregende Weite unserer tiefs-ten Gefühle umfasst, erweist sich The Changing Lights als viel mehr als nur ein Album. Für alle, die das unglaubliche Glück haben, es zu entdecken, verwandelt es sich schon bald in „eine Region des Herzens“, die allen gefühlvollen, empfindsamen Menschen offen steht.

www.staceykent.com

Tourtermine:
– 21.09.2013 Braunschweig, Festival KulturImZelt
– 22.09.2013 Wien, Porgy & Bess
– 31.10.2013 München, Unterfahrt Jazz Club
– 01.11.2013 Zürich, Jazznonjazz Festival Zürich ewz-Unterwerk Selnau