Sara Tavares – Xinti

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Sara Tavares – Xinti

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(World Connection; VÖ: 08.05.09) Wie Tito Paris, Tcheka und Lura gehört auch Sara Tavares zur jungen Garde kapverdischer Musiker, denen es in letzter Zeit gelungen ist, aus dem übermächtig erscheinenden Schatten einer Césaria Évora herauszutreten. Die 1978 geborene Sängerin wuchs in Lissabon auf und ist zu jener Altersgruppe von Immigranten zu rechnen, die nirgends wirklich zu Hause sind. Als Kind kapverdischer Eltern, die die wirtschaftlich gebeutelte Inselgruppe im Atlantik verließen und auf der Suche nach Arbeit nach Portugal gingen, zählt sie zur lost generation, zur zweiten Generation von Einwanderern, die im Gastland als Fremde behandelt werden und das Ursprungsland ihrer Familie nie richtig kennen gelernt haben. Sara Tavares ist jedoch das Kunststück gelungen, die vermeintliche Schwäche in eine Stärke zu verwandeln.

Die Einflüsse unterschiedlichster Herkunft, die ihr als Mädchen schwer zu schaffen machten, verknüpft die 30-jährige inzwischen zur ureigenen musikalischen Identität. Auf ihrem neuen Album “Xinti” (“Fühl es”) vermischt sie Pop, Soul, Jazz, die Morna der Kapverdischen Inseln, portugiesischen Fado und afrikanische Rhythmen zum unverwechselbaren Personalstil, und ihre Songtexte in der Muttersprache Crioulo (mit Lehnworten aus dem Englischen und Französischen), Portugiesisch und dem urbanen Straßen-Slang unserer Tage weisen sie als multikulturelles Geschöpf im Zeitalter der Globalisierung aus.

Saß Sara Tavares früher aufgrund ihres Familienhintergrunds zwischen allen Stühlen, so präsentiert sie sich auf “Xinti” als selbstbewusste junge Frau, die ihren Weg gefunden hat. Sie hat längst eine individuelle Kultur zwischen den Kulturen entwickelt, der Weg dorthin war jedoch hart und steinig. Schon in jungen Jahren begeisterte sie sich für die Musik, zunächst waren es jedoch afroamerikanische Soul-, Gospel- und R&B-Größen wie Stevie Wonder, Aretha Franklin und Donny Hathaway, die etwas in ihr zum Klingen brachten. Als Teenager gründete Sara den ersten portugiesischsprachigen Gospelchor in Lissabon, mit sechzehn gewann sie die beiden wichtigsten Talentwettbewerbe Portugals. Erst ging sie 1994 aus dem Finale der Casting-Show “Chuva de Estrelas” mit ihrer Fassung von Whitney Houstons “One Moment In Time” als Siegerin hervor, dann entschied sie im selben Jahr mit dem Titel “Chamar a Música” auch noch den nationalen Vorentscheid zum “Eurovision Song Contest” für sich. Kurz danach unterschrieb die Nachwuchshoffnung einen lukrativen Plattenvertrag und veröffentlichte mit der EP “Sara Tavares & Shout” ihren ersten Tonträger.

Als die talentierte Novizin dann auch noch gebeten wurde, “God Help The Outcast” für die portugiesische Synchronisation der Disney-Produktion “Der Glöckner von Notre Dame” zu interpretieren, stand einer Popkarriere samt Starruhm eigentlich nichts mehr im Wege. Doch dann trat Lokua Kanza ins Leben von Sara Tavares und weckte das kulturelle Erbe, das bisher ungenutzt in ihr geschlummert hatte. Kanza, der zu jener Zeit bereits mit prominenten Afrikanern wie Ray Lema, Papa Wemba, Manu Dibango sowie Youssou N’Dour gearbeitet hatte und auch als Solist erfolgreich war, produzierte 1999 das Solodebüt “Mi Ma Bô” und wurde im Verlauf der Kooperation zum Mentor seines Schützlings. Mit seiner Hilfe entdeckte Sara Tavares unbekannte Seiten in sich selbst und verabschiedete sich schon bald von der bis dahin angestrebten Laufbahn im Mainstream-Pop. In einem schwierigen Prozess der Selbstfindung beschäftigte sie sich ausgiebig mit Klängen aus der Heimatregion ihrer Eltern, traf Kollegen von den Kapverden und reiste in mehrere afrikanische Länder. Angeregt von den neuen Eindrücken erschuf Tavares nach und nach eine eigene Sound-Sprache, die beim portugiesischen Publikum bestens ankam. Der Lohn: eine Goldauszeichnung für den Albumeinstand “Mi Ma Bô” und eine Nominierung für den begehrten Musikpreis “Globos de Oero”, das portugiesische Pendant zum Grammy.

2006 bescherte der Nachfolger “Balancê” dann den internationalen Durchbruch. Tavares eroberte auf einer Promotionstournee kreuz und quer durch Europa, Japan und die USA neue Fans, trat live in der beliebten TV-Reihe “Later … With Jools Holland” in der BBC auf, wurde in den höchsten Tönen in einem “Guardian”-Artikel gefeiert und hatte so schon bald einen festen Platz im Weltmusiksektor inne. In den Songs des zweiten Albums begab sich die Vokalistin und Gitarristin auf eine innere Reise, sie erforschte die eigene Gefühlswelt, machte sich daran, einen Ausgleich zwischen all den widerstreitenden Emotionen in ihr herbeizuführen. Deshalb auch der Albumtitel “Balancê”, der symbolisieren sollte, dass es darum geht, die Balance im Leben zu halten, “das Gleichgewicht zu bewahren zwischen Traurigkeit und Freude, Nacht und Tag, Salz und Zucker” (Zitat Tavares).

“Xinti” führt die innere Reise nun genauso spannend fort. In selbstverfassten Songs sinniert die Dreadlocks-Trägerin hier über die menschliche und die göttliche Liebe, sie reflektiert philosophische Fragestellungen und beschreibt ausdrucksstark, “wie die Seele zum Flug ansetzt”. Sara Tavares versteht “Xinti” als “eine Art stilles Gebet von jemandem, der einmal tief Luft holt und dann weitermacht”. Auf den Titel “Exala” (“Ausatmen”) trifft diese Beschreibung besonders gut zu. Das introspektive Stück fordert uns auf, “auf das zu hören, was nicht ausgesprochen wird”. Ähnlich sensibel erleben wir die Künstlerin in “Voz di Vento” (“Stimme des Windes”). In diesem Lied achtet sie aufmerksam auf das, was der Wind uns mitteilen möchte und untermalt die Naturszenerie mit tropfenartigen Tönen vom Vibraphon und Drums. Das träumerische “Manso, Manso” (“Sanft, ganz sanft”) schließlich bezieht seinen Zauber aus einer originellen Produktionsidee. Umweltgeräusche, Straßenlärm und das geschäftige Treiben der Menschen in Lissabon hat Sara Tavares dafür selbst aufgenommen und mit Gitarrenakkorden und einer einsam kreisenden Gesangsmelodie kombiniert. Magisch schön! Doch nicht alles auf “Xinti” ist so nachdenklich und sanftmütig, mitunter mag es die Frau aus Lisboa auch körperbetont. So regt beispielsweise ihr Upbeat-Track “Keda Livre” (“Im freien Fall”), der eine aufregende, ja gefährliche Liebesattacke schildert, mit seiner funky groovenden Perkussion unwiderstehlich zum Tanzen an.

Mal ausgelassen, mal melancholisch erzählt Sara Tavares auf “Xinti” vom menschlichen Leben in all seinen Facetten. Sie steht wie wir alle staunend vor dem Wunder des Lebens, genießt seine Höhen, durchleidet seine Tiefen und kleidet ihre Erfahrungen in eine soft-hypnotische Musik, der sich der Zuhörer schon nach wenigen Noten ganz und gar hingibt. Wenn die Ohren- und Augenweide dann auch noch ihre sinnliche, warmherzige Stimme ertönen lässt, ist man ihr im Nu völlig verfallen. Die Klang gewordene Verführung.