Robert Glasper – Double-Booked

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Robert Glasper – Double-Booked

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Ein Künstler und zwei unterschiedliche, miteinander verwobene Konzepte: Das ist die faszinierende Logik hinter „Double-Booked“, dem dritten Album nach „Canvas“ (2005) und „In My Element“ (2007), das der Pianist Robert Glasper für Blue Note eingespielt hat. Glasper, laut New York Magazine ein Künstler „mit dem untrüglichen Gespür für das richtige Feeling“, hat in der Musikwelt in zweierlei Hinsicht für Schlagzeilen gesorgt: einerseits als Kopf des akustischen Robert Glasper Trios und andererseits als Mastermind der mehr an HipHop orientierten, elektronischen Formation Robert Glasper Experiment. Mit „Double-Booked“ liefert der 32-jährige, aus Houston stammende Künstler das Konzentrat seiner außergewöhnlichen Vielseitigkeit und betont dabei die Unterschiedlichkeit der musikalischen Parallelwelten, in denen er sich bewegt.

Ein ewiger Balanceakt scheint Glaspers gesamte Karriere zu bestimmen und er hat tatsächlich schon manches Mal dafür gesorgt, dass er doppelt gebucht wurde und an ein und demselben Abend als Trio und als Experiment auftrat. Das ist die eigentliche Geschichte hinter „Double-Booked“, auf der man die Stimmen von Terence Blanchard und dem Roots-Drummer Ahmir ?uestlove Thompson hört, die Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen und jeweils eine andere Glasper-Band anfragen.

„Die meisten Künstler, die gleichzeitig in verschiedenen Bands spielen, machen getrennte Alben“, erläutert Glasper, „aber ich hatte das Gefühl, dass es aussagekräftiger wäre, wenn ich die beiden Seiten kombiniere.“ Das Resultat ist eine Art Schnappschuss von Glaspers Leben. „Das ist es, womit ich mich beschäftige“, sagt er. „Es ist ja nicht so, dass ich ein Jazzmusiker bin, der ab und zu HipHop spielt. Ich bin in beiden Stilen voll involviert, ich lebe beide Seiten des Spektrums ganz intensiv aus. So ist mein Leben. Viele Leute gehen durch verschiedene Phasen: sie konzentrieren sich gewisse Zeit auf ein Trio, dann verändern sie sich oder die Dinge. Für mich gibt es eben beides gleichzeitig.“

Die ersten sechs Stücke von „Double-Booked“ zeigen Glasper im Trio mit seinem langjährigen Begleiter am Bass, Vicente Archer, und dem Drummer Chris Dave, der eigentlich in Glaspers Band Experiment spielt, kürzlich aber auch zum Trio dazu stieß. „Man findet solche Gemeinsamkeiten nur selten bei jemandem“, schwärmt Glasper. „Es gibt nur sehr wenige Musiker, die in allen musikalischen Genres gleichermaßen überzeugend wirken. Meist haben sie gewisse Stärken und Schwächen, sind etwa geniale Jazzmusiker, dafür ist ihr HipHop irgendwie merkwürdig, und umgekehrt. Chris ist in beiden Bereichen gleich gut, und er ist sehr kreativ. Früher spielten er und Vicente mit Kenny Garrett zusammen, sie haben also eine gemeinsame, verbindende Geschichte, und das macht ihre Zusammenarbeit viel leichter. Sie kennen die jeweiligen Eigenheiten des anderen.“

Wie schon auf „In My Element“ unterstreicht Glasper die HipHop Anleihen des Trios mit kurz eingeblendeten Zwischenspielen: Glasper nennt sie „kleine Pete-Rock-ismen“, die wie kurze Kodas mancher der Songs funktionieren. Von Anfang an hört man bei „No Worries“ mit seinem poetischen Flow und dem unaufdringlichen Zusammenspiel dieses gewisse Etwas, das Nate Chinen von der New York Times so beschreibt: „vage, wechselhafte Adaptionen von HipHop-Rhythmus-Tracks, die … Glasper selbst spielt, als sei er ein lebendes Sample … in einer Art Echtzeit-Loop.“ Glasper erinnert sich an die Entstehung des Stücks: „Auf diese kleine Melodie kam ich während eines Soundchecks in London. Wir spielten es noch am selben Abend beim Konzert. Dauernd hörte ich Leute, die sagten: ‚No worries‘ und das schien mir der passende Songtitel. Es hat sehr positive, tröstliche Vibes, als wolle es sagen: ‘Alles ist ok.‘“.

„Downtown“, vornehmlich im 7/4 Takt gehalten, ruft ein Bild von Glasper vor dem inneren Auge auf, wie er durch ein Fenster auf den Regen starrt. „Man könnte es als das ‘F.T.B.‘ dieses Albums bezeichnen“ sagt er mit Verweis auf den ungewöhnlichsten Song auf „In My Element“. „Yes I’m Country (And That’s OK)“ und „59 South“ dagegen beziehen sich direkt auf Glaspers texanische Heimat. Letzterer ist ein schwer befahrener Highway in Houston und als kulturelle Referenz etwa vergleichbar mit der Brooklyn Bridge in New York, der Stadt, in der Glasper heutzutage lebt. Zu „Yes I`m Country“ äußert er sich folgendermaßen: „Manchmal habe ich, wenn ich spiele, so einen gewissen Country-Swing an mir, und ich spiele ganz gerne so.“ Die Improvisation bei diesem Song verdeutlicht jene außergewöhnliche Zusammenarbeit, durch die das Glasper Trio sich von anderen unterscheidet: „Ich liebe aus dem Stehgreif gespielte Phrasen, die etwas anecken“, schwärmt Glasper. „Sie schaffen eine ganz andere Atmosphäre als normalen Improvisationen.“

Der dem Trio gewidmete Teil von „Double-Booked“ kulminiert in einer überraschenden Version von Thelonious Monks „Think of One“. In der letzten A-Section gelingt es Glasper mit einem genialen und zugleich natürlich klingenden Handstreich, Ahmad Jamals „Swahililand“ einzubringen, dessen Akkordabfolge die Grundlage für De La Souls HipHop Klassiker „Stakes Is High“ von 1996 ausmachte, an dessen Kreation übrigens Glaspers persönliches Vorbild und guter Freund, der inzwischen verstorbener Beatmaster J Dilla beteiligt war. „Monk und Dilla leben beide nicht mehr … manchmal sage ich dann auf der Bühne, dass sie wahrscheinlich dort oben im Himmel zusammen chillen. Vielleicht unterhalten sie sich sogar über dieses Arrangement! Ich wollte schon immer mal ein Jazzstück mit einem HipHop-Stück kombinieren, aber so, dass es ganz entspannt klingt, nicht gekünstelt. Chris‘ Drumbeat am Ende ist crazy, die Kombination von Hi-Hat und Bass Drum – so etwas gibt es sonst nicht auf einem Jazzalbum, niemals. Und deswegen ist dies auch das letzte Trio-Stück denn es ist eine perfekte Überleitung.“

Von hier an befinden wir uns im Reich des Experimentellen. Obwohl Chris Dave weiterhin Drums spielt, klingt er nun völlig anders als in der ersten Hälfte des Albums. „4Eva“, ein Liveausschnitt mit der Rap-Ikone Mos Def, führt einen auf direktem Wege in eine andere Welt. „Butterfly“ stammt ursprünglich von Herbie Hancocks wegweisendem 1974er Album „Thrust“. Hancock, selbst zugleich Pianist und Pionier des Crossover, hat eine immense Vorbildfunktion für Glasper. „Irgendwie ist es so, dass es auf jedem meiner Alben ein Stück gibt, das nach Herbie klingt, als täte ich das absichtlich“, schmunzelt Glasper. „Tue ich aber nicht. Aber dieses Stück musste einfach auf das Album, es ist einfach cool.“ Mit Casey Benjamins Vocoder-Effekt klingt die Melodie noch mysteriöser; ein Beat von J Dilla, „F—the Police“, fundiert als rhythmische Grundlage.

Das zehn Minuten lange „Festival“ baut auf einem ganzen Arsenal von Soundeffekten aus der Hand Benjamins auf, zu denen Glaspers Fender Rhodes wie wild geworden immer neue (Um-)Wege einschlägt. Das ist der typische Sound des Glasper Experiment in seiner ausschweifendsten Variante. „Casey hat so viele Pedals, das aufzubauen dauert allein schon so lange, dass wir ihn bei Konzerten immer schon vorschicken wollen“, lachte Glasper und merkt an, dass Benjamin nur Altsaxophon spielt und ohne Overdubs auskommt. Als kurze Überleitung dient „For You“, geschrieben von Benjamin und dem Drummer Sameer Gupta. Dem folgt das ungewöhnliche, sich jeder Klassifizierung verweigernde „All Matter“ des Sängers Bilal Oliver. Dazu Glasper: „Ein hübscher Song. Man kann ihn in jeder erdenklichen Situation spielen, immer hallt er nach.“ Derrick Hodge der Bassist vom Experiment, selbst ein versierter Komponist, erstklassiger Jazzmusiker und begehrter HipHop Sideman, zeichnet für „Open Mind“, das letzte Stück, verantwortlich, bei dem auch Bilal zu hören ist. Glasper bezeichnet den mit extra Texturen und Stimmelementen des Turntable-Spezialisten Jahi Sundance (Sohn des Altsaxophon-Meisters Oliver Lake) angereicherten Song als „spirituelles Stück“.

Doch Glasper hat nicht nur die Fans und Kritiker gleichermaßen von sich überzeugen können, es ist ihm zudem gelungen, den Respekt des strengsten Publikums überhaupt zu gewinnen, nämlich der Jazzmusiker. In einem Blindfold Test des Down Beat Magazine vom Mai 2008 erkannte ein Pianistenkollege Glasper sofort und lobte ihn als „fantastischen Musiker“, wobei er die Charakteristika von dessen einzigartigem Spiel hervorstrich: „ein harmonisches Labyrinth, gepaart mit einem eindringlichen Rhythmus sowie gewissen Melodien, Ornamenten und Verzierungen von denen einige auch an Gospel erinnern“. Auf „Double-Booked“ gelingt es Glasper, all diese Elemente weiterzuentwickeln und zu einer neuen Synthese zu führen, wobei er unerschütterlich vorwärts schreitet in seinem Aufstieg zum Olymp zeitgenössischer Jazzkünstler.