Priscilla Ahn – When You Grow Up

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Priscilla Ahn – When You Grow Up

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COVER Ahn Priscilla When You  Grow Up 5099902833057-MF (EMI Blue Note, VÖ: 21.10.2011)
Das Erwachsenwerden ist ein beliebtes Sujet in der Kunst. Der Coming-of-Age-Roman gehört dabei ebenso zu den Grundfesten des literarischen Kanons wie sein musikalisches Pendant zum Pop-Universum. „When You Grow Up“, ein von Ethan Johns exquisit produziertes Dutzend Songs, markiert das zweite Album der Blue-Note-Künstlerin Priscilla Ahn, die hier eine künstlerische Reife offenbart, in der man das Mädchenhafte der legendären Melanie ebenso zu entdecken glaubt wie die Klarheit einer Aimee Mann. Dabei knüpft die junge kalifornische Songwriterin mit ihrer engelsgleichen Stimme einen losen roten Faden durch einen zartbesaiteten Songreigen, der die diversen Befindlichkeiten des Erwachsenwerdens streift. Eine musikalische Sternstunde, die Priscilla Ahn federführend gestaltet hat und sie in die Riege der besten modernen Folk-Künstlerinnen katapultiert.

In gewisser Weise ist es natürlich eher leicht ironisch gemeint, wenn Ahn ihr Album „When You Grow Up“ genannt hat. Schließlich entwickelt sich jeder in seinem Leben weiter – bis man irgendwann das Zeitliche segnet. Wir suchen nach Liebe, wir finden sie und verlieren sie auch wieder, wir lernen neue Freunde kennen, wechseln die Schauplätze, lernen neue Orte kennen und schulen im besten Falle unsere Fähigkeiten. Unsere Gefühle werden immer komplexer. Wir entwickeln bestimmte Verhaltensmuster und verwerfen sie mitunter, weil wir uns weiterentwickeln wollen. Die stets ungemein intim wirkenden Songs von „When You Grow Up“ sind jedenfalls der klingende Beweis der enormen künstlerischen Entwicklung der 28-jährigen Songpoetin.

„Letztens habe ich noch einmal einige meiner alten Blog-Einträge von vor fünf, sechs Jahren gelesen. Mein Leben war damals noch ein völlig anderes.“ Tatsächlich hat Priscilla Ahn zahlreiche Kämpfe mit sich selbst ausgefochten, bevor sie endlich ihre ganz eigene Stimme fand, mit der sie ihren Gefühlen adäquat Ausdruck verleihen konnte. Ihr Debütalbum „A Good Day“ fand gleichwohl viele Freunde und ihr Song „Dream“ avancierte gar zu einem kleinen Hit, der auch in zahlreichen Filmen und Fernsehshows verwendet wurde. Die Tourneen mit renommierten Künstlern wie Ray LaMontagne, Amos Lee und Willie Nelson gaben ihr noch zusätzlich Selbstbewusstsein. Ihr privates Glück festigte sie, als sie im letzten Jahr heiratete. „Mein Leben ist jetzt so erfüllt und friedlich, wie ich es lange Zeit nicht gekannt habe.“

Es gibt diesen sich hartnäckig haltenden Mythos, dass Künstler nur schwer zu ihrer Muse finden, wenn sie zu ausgeglichen und zufrieden sind. Zunächst schien es, dass auch Priscilla Ahn damit zu kämpfen habe. „Das Schreiben schien mir früher in gewisser Weise leichter zu fallen. Aber heutzutage kann ich meine Gefühle viel besser kanalisieren, sei es beim Nachdenken, in meinen Tagebüchern oder beim Meditieren. Ich hatte jedoch schon Sorgen, dass es nichts mehr gäbe, worüber ich Songs schreiben könnte.“ Dafür gelang es ihr umso besser, sich tief in ihre Musik einzugraben und in den kleinen, stillen Momenten des Lebens Erhellendes zu entdecken. „Diese Songs entstanden in einem Lebensabschnitt, in dem ich mich wiederentdeckte, oder besser gesagt zum ersten Mal bestimmte Seiten an mir entdeckte.“

Ein weiterer entscheidender Schritt für das neue Album war, dass Priscilla Ahn nicht mehr wie gewohnt alle Songs selbst schrieb, sondern auch mit anderen Musikern zusammenarbeitete, darunter Sia Furler, Inara George, Eleni Mandell und Charlie Wadhams. Der einzige Song, an dem sie nicht als Autorin beteiligt war, das frohlockend lockere „Vibe So Hot“, stammt von Benji Hughes. Auch wenn es Möglichkeiten gegeben hätte, mit erfahreneneren Songwritern zu arbeiten, ergab es sich fast wie von selbst, dass sie mit Künstlern aus ihrem Umfeld arbeitete. Ina George, die Sängerin von the bird and the bee, die mit Ahn das strahlende „City Lights (Pretty Lights)“ schrieb, machte sie auf die ebenfalls aus Los Angeles stammende Eleni Mandell aufmerksam. Aus dieser Begegnung ging das federleichte „Oo La La“ hervor. So wie bei dieser leicht jazzbetonten Ballade, in der der Protagonist aus seiner täglichen Routine zu neuen Abenteuern aufbricht, haben es auch die anderen kreativen Begegnungen Ahn ermöglicht, ihren hohen Ansprüchen an die Kunst des Songwritings mehr als gerecht zu werden.

Als nächstes war Ahn bemüht, von allen Kompositionen erste Demo-Aufnahmen zu machen. Sie spielt auf dem Album zwar zahlreiche Instrumente – neben akustischen und elektrischen Gitarren sind das Banjo, Autoharp, Piano, Orgel und eine Reihe anderer Keyboards – ihr Studio daheim ist jedoch denkbar spartanisch. So nutzte sie vornehmlich ihre eigene Stimme, um verschiedene Instrumental-Parts zu simulieren und nahm mehrstimmige Gesangsharmonien auf. Viele ihrer so entstandenen Songideen haben den Weg auf das eigentliche Album gefunden, besonders die an die Beach Boys erinnernden Multitrack-Gesangsharmonien.

Auf der Suche nach einem geeigneten Produzenten, der ihr helfen sollte, die Songs ins beste Licht zu rücken, versuchte es Ahn zunächst mit „Blind Dates“, wie sie es scherzhaft nennt. Alle Kandidaten hatten ihre Stärken und beste Referenzen, aber es funkte irgendwie nicht. Dabei war die perfekte Wahl in greifbarer Nähe. Ethan Johns hatte die letzten drei Alben von Ray LaMontagne produziert, mit dem Ahn auf Tour gewesen war. Sie war dem renommierten Produzenten und Multi-Instrumentalisten zwar noch nie begegnet, aber als Ahn ihm das Angebot machte, stellte sich heraus, dass Johns schon ein Fan von ihr war, seit er ihren berührenden Auftritt in Jools Hollands englischer Fernsehshow gesehen hatte.

Die Zusammenarbeit mit Johns brachte Ahn erneut nach England, wo sie sich gemeinsam in diversen Studios in Bath und London niederließen. Zunächst war die Sängerin ein wenig nervös, so weit von Zuhause, der gewohnten Umgebung, der Familie und den Freunden ein Album aufzunehmen, aber ihre Zurückhaltung war schnell verschwunden, als die ersten Songs in Angriff genommen wurden. „In England aufzunehmen war vielleicht das Beste, was ich für dieses Album machen konnte, denn ich war enorm darauf fokussiert und arbeitete quasi ständig daran.“

So wie das Album langsam Form annahm, wuchsen auch die kreativen Bande zwischen Ahn und Johns. „Wenn ich sagte, dass ich mit der einen oder anderen Stelle nicht zufrieden sei, meinte Ethan nur locker ‘Okay‘. Er ist kein bisschen selbstbezogen, was echt selten ist. Ethan hat zudem ein perfektes Gespür dafür, was wo platziert sein muss, und kann sich voll und ganz auf Worte und Stimme konzentrieren. Ich vertraute einfach seinem Gehör.“ Mit der Hinzunahme von weiteren Musikern entwickelte sich mit der Zeit ein richtiges Band-Feeling und demzufolge entstanden traditionell auf Band geschnittene Live-Aufnahmen. „Das war alles schön Old School. Wir nahmen live mit der Band auf, den ganzen Tag und manchmal bis in den nächsten hinein. Dann setzten wir uns im Studio zusammen und hörten uns alles an, bis wir den Take mit genau dem richtigen Vibe gefunden hatten.“

Den Schlusspunkt setzte in gewissem Maße eine andere Produzentenlegende: Glyn Johns, der Vater von Ethan. Der hatte Priscilla Ahn bei einem gemeinsamen Dinner den Albumtitel „When You Grow Up“ vorgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Songs schon unter Dach und Fach. Und so ergab sich die Reihenfolge der Songs, deren loser Handlungsfaden von der Kindheit über das Auf und Ab von Beziehungen bis zu dem nachdenklichen „Torch Song“ reicht, durch den gewählten Titel schon fast von selbst. So ist das manchmal mit den kreativen Prozessen. Man weiß vielleicht nicht, was man eigentlich erreichen will, bis man an den Punkt kommt, an dem man auf alles Erreichte zurückblicken kann. Mit „When You Grow Up“ demonstriert diese zart und klug reflektierende Folkkünstlerin, dass man von ihr noch manche reife musikalische Großtat erwarten darf.