Pat Metheny – Orchestrion

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Pat Metheny – Orchestrion

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Orchestrion Das ist gewiss die sonderbarste Überschrift, unter der jemals eine Tournee des bedeutendsten Jazzgitarristen unserer Zeit angekündigt wurde. Wir kennen Musik von ihm in allerlei Kombinationen – mit der Pat Metheny Group, im Trio, im Duett mit Charlie Haden oder Ornette Coleman, bei Joni Mitchell, ja, selbst mit Orchesterbe-gleitung – und immer wieder solo. Jeder, der Pat Metheny schon einmal im Konzert erlebt hat, weiß, dass sich dieser anscheinend ewig jungenhaft wirkende Musiker im quergestreiften Matrosen-Sweatshirt gerne auch mal alleine vorn an die Bühnenkante setzt und unvermittelt auf der akustischen Gitarre loszuklampfen beginnt, als säßen wir alle ums Lagerfeuer. In solchen Augenblicken öffnet sich über jedem Konzertsaal dieser Welt in der Decke ein imaginäres Loch, durch das der weite Himmel von Missouri sein Sehnsuchtslicht hinabgießt. Die Musik versetzt uns in jene Jahre, in denen Pat Metheny hinter dem elterlichen Haus in Lee’s Summit mit seiner Gitarre im Garten saß, Läufe und Akkordprogessionen übte und offene Stimmungen und Voicings ausprobierte. Stundenlang, bis ihm die Augen zufielen.

Pat-Metheny-Fans wissen natürlich, dass in der Brust dieses Landeis aus dem Heartland of America auch das Herz eines brillanten Jazzmusikers schlägt – und das eines Sound-Futuristen. Auf seinem heiß geliebten Gitar-rensynthesizer produziert Metheny neben virtuosen und ausgiebigen Soli auch orchestral aufgefächerte Klänge. Aber Orchestrion? Ein Orchestrion ist das blanke Gegenteil des Solospiels – und zugleich dessen Apotheose. Im 19. Jahrhundert entwickelten ein paar Tüftler im Schwarzwald und in Sachsen monströse mechanische Musikin-strumente, die den Bläserklang eines ganzen Orchesters wiedergeben konnten. Die Ungetüme standen in Hotel-hallen und anderen großen Sälen, sie wurden erst per Kurbelantrieb in Gang gesetzt, später mit Motorkraft, und was sie spielen sollten, gaben ihnen Lochkarten vor. Im frühen 20. Jahrhundert gelang es den Instrumentener-findern sogar, eine oder mehrere Geigen einzubauen, die mechanisch gestrichen wurden. Die Erfindung der Schallplatte war dann des Orchestrions rascher Tod.
Was Pat Metheny bewog, diese schöne Leich’ aus dem Friedhof überlebter Instrumente zu neuem Leben zu er-wecken, liegt auf der Hand. Er hat doch schon mit allen Musikern zusammengespielt, deren Stimme im Jazz etwas gilt. Warum da nicht einmal ein musikalisches Universum erschaffen, in dem alle Stimmen – seine eige-nen sind? Methenys Orchestrion enthält neben Bass, Gitarre, Marimba und Percussion noch etwa 20 weitere mechanische Instrumente. Gebaut hat es ein kleiner Handwerksbetrieb in den USA. Die Kontrolle über die Musik liegt vollständig in Methenys Händen. Von der E-Gitarre aus steuert er Software und mehrere Computer, die wiederum befehligen ein paar Roboter, und die spielen die Instrumente dann genau so, wie Metheny es will. Auf der Bühne steht auch ein Klavier, das sich, entsprechend programmiert, selbst spielt, und eine Flaschenorgel, deren Sound dem der Pfeifenorgel ähnelt. Noch weiß keiner, wie das alles klingen wird, was Metheny da von neun Assistenten (!) auf die Bühne wuchten, einrichten und überwachen lässt, aber schon jetzt kann man sa-gen: So etwas gab es noch nie.
Seien wir also gespannt auf einen scheinbar unendlich vervielfachten Metheny-Sound in allen Klangfarben des Regenbogens. So, als würde Beethoven alle Instrumente in seinen Sinfonien selber spielen, ohne Dirigenten, ohne Orchestermusiker, ohne interpretatorischen Eigensinn. Megaloman? Vielleicht. Aber Pat Metheny ist ein Perfektionist, und das heißt bei einem Jazzmusiker, dass er bei aller Kontrolle unbedingt Freiräume für Improvi-sation behalten, das Spontane aus der Performance also keineswegs ganz tilgen wird. Technologisch wagt sich Metheny hier auf absolutes Neuland vor, und Schaulustigen verspricht er exquisites Futter für die Augen.
Dennoch ist es ein kluger Schachzug, bei dieser JAZZNIGHTS-Tournee durch die schönsten Konzerthäuser des Landes nicht allein aufs Orchestrion zu setzen. Metheny ahnt vielleicht das Risiko, sein Publikum durch die schiere Menge der Klänge zu erschöpfen. Womöglich fürchtet er selbst die Manegenluft des allzu Zirzensischen. Als Gegengabe bietet er deshalb am selben Abend auch Gitarrenmusik solo an, unverstellt von der anzuneh-menden Wucht des computertechnisch Möglichen. In der Intimität der sechs, zwölf oder wieviel auch immer Saiten, die seine Sonderanfertigungen aus den besten Gitarrenwerkstätten der Erde haben, wird aus dem Bändiger der 25 mechanischen Instrumente dann buchstäblich im Handumdrehen wieder der begnadete Geschichtenerzähler, der uns mit diskret verstärkten akustischen Klängen Raum und Zeit und Technik verges-sen lässt. Und wo hätte es das je gegeben: dass Beethoven die Neunte spielt und dann noch, sagen wir, die Sonate „Les Adieux“ oder Opus 111.