Oscar Peterson Trio – Live in Cologne 1963

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Oscar Peterson Trio – Live in Cologne 1963

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OscarPeterson_LiveInCologne1963 (Jazzline, VÖ: 01.03.2015 / LP: 01.05.2015)

Fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor hatte das Oscar Peterson Trio an gleicher Stelle gastiert (ebenfalls ein WDR-Mitschnitt, dokumentiert auf Jazzline N 78 004). Und ein Großteil der damals Anwesenden kehrte am 27. April 1963 in Erinnerung an ein großartiges Konzert in den Gürzenich zurück. Nicht, um in erster Linie ein neues Repertoire zu hören (auch wenn das Anfang 1963 veröffentlichte Blues-lastige Night Train, das zu Petersons populärstem Album avancieren sollte, den einen oder anderen zusätzlich motiviert haben dürfte), Tourneen standen in jenen Tagen weit weniger als heute unter der Prämisse, aktuell aufgenommenes Material im Anschluss live zu präsentieren. Außerdem konnte das Repertoire an jedem Abend ein durchaus anderes sein. Nein, man wollte noch einmal den mitreißenden swing eines der größten Klaviervirtuosen des Jazz erleben. Nicht zuletzt war das Publikum gespannt darauf, wie sich dieses Trio seit dem letzten Mal entwickelt hatte.
Es sind keineswegs nur die Fans des kanadischen Schwergewichts, die das Triumvirat mit Ray Brown und Ed Thigpen aus der historischen Perspektive als sein bestes einstufen. Diese Besetzung entwickelte im Laufe der Jahre einen Grad an Geschlossenheit, verve, drive und, ja, Perfektion (ein Begriff, der im Zusammenhang mit Peterson schnell fällt), wie er von anderen seiner Trios – vorher und nachher – nicht erreicht wurde.

Der Pianist und der Bassist hatten das erste Mal 1949 in der Carnegie Hall zusammengespielt und waren danach auf eine Duo-Tournee gegangen: “Unser Problem war: Die meisten Clubbesitzer sahen uns Beide nur durch die Tür kommen und sagten sofort, ‘für das Geld, das ich bezahle, möchte ich bitte eine ganze Big Band auf der Bühne sehen!’ Für die Veranstalter war damals alles über 100 Dollar viel Geld! Und irgendwann sagte Norman Granz: ‚Warum tut Ihr euch nicht einen Gefallen und holt einen dritten Mann?!’ Wir taten es und holten den Gitarristen Barney Kessel. So entstand mein erstes Trio mit zwei US-Amerikanern: mit Barney und Ray.”
Kessel war kein Freund von Konzerttourneen und verließ das Trio nach einem Jahr. Sein Nachfolger wurde Herb Ellis: Er blieb – mit einer krankheitsbedingten Pause, in der Kenny Burrell für ihn einsprang – immerhin fünf Jahre. Die ständig wachsende Nachfrage für Auftritte in größeren Hallen ließen Peterson und seinen künftigen Manager Granz über eine neue Instrumentierung nachdenken: Anstelle einer kammermusikalischen Besetzung mit Klavier, Bass und Gitarre entschlossen sie sich für das klassische Pianotrio – und damit für einen akustisch wesentlich präsenteren Schlagzeuger. Peterson, Ray Brown und der neue dritte Mann Ed Thigpen traten ein Band-Kapitel an, das der Pianist später so umschrieb: “Sechs Jahre unglaublicher Musik”.
Thigpen (Spitzname: “Thags”) war ein Meister des Besen-Spiels. Die Band verstand es, dies gestalterisch zu nutzen: Nach einer gewissen Zeit wechselte der Schlagzeuger von den brushes zu den sticks und leitete das ein, was Peterson als “the steaming zone” bezeichnete (nicht selten begleitet von Browns an Thigpen gerichteter Aufforderung: “Come on, Thags, let’s tighten him up!”).
Auch das Kölner Publikum kam in den Genuss dieses alles andere als mechanisch agierenden Antriebsmotors, der den dynamischen Bandleader zusätzlich befeuerte (und nicht nur in einem halsbrecherischen Tempo, das das Trio ohnehin einzig in “Place St. Henri” an den Tag legte). Dennoch dürfte es im Gürzenich auch Enttäuschte gegeben haben, wie sie Dieter Zimmerle (Herausgeber der Zeitschrift Jazz Podium) wenige Tage zuvor beim Peterson-Auftritt in Stuttgart ausgemacht hatte: “Der aus dem Konzert stelzte und seine vermeintliche Fortschrittlichkeit durch ein lässig hingeworfenes ‚Nicht-das-Letzte‘-Urteil in kurzen Worten zu erkennen zu geben versuchte, meinte damit: Nichts Neues, alles schon mal gehört.”

Vor allem war derlei Kritik an Oscar Peterson nichts Neues. Immer wieder (und bis zu seinem Schlaganfall 1993) wurden ihm “emotionsloses Spiel”, eine Ãœberbetonung des Technischen, ein Mangel an Eigenständigkeit und der Hang sich zu wiederholen (und, damit zusammenhängend, auch zu viele Alben zu produzieren) vorgeworfen. Zimmerle war beileibe nicht der einzige, der argumentativ – und nicht nur aus der Perspektive eines “Fans” – dagegenhielt. Bemerkenswert an seiner Konzert-Rezension aber ist, dass er sich im Verlaufe in eine fast schon philosophisch anmutende Kritik am merkantilen Zeitgeist hineinsteigert:
“Wenn in dieser Zeit der Massenproduktion an Musik auch ein großer Prozentsatz des Angebots – speziell das einer so genannten “Musikindustrie” – sich zwangsläufig in gehaltloser Form erschöpft, so berechtigt das nicht zu einem kollektiven Bewertungsschema, nach dem sich im Zeitalter der Automatisierung Musik schließlich auch maschinell auf Eignung als Gebrauchsartikel testen ließe. Der Begriff Musik wird heute recht weitläufig gedeutet, wobei die Wahrhaftigkeit, also der enge Kontakt zum Menschen stark in den Hintergrund gedrängt wird zugunsten der Ausnutzung als Verkaufsobjekt.” Der Pianist sei nicht der Typ, der sich billig verkaufe, sondern sich gerade in Konzerten verausgabe – “nicht als Techniker, sondern als Musiker”. Und Zimmerle beendet seinen Bericht nicht ohne eine Spitze gegen die Fraktion der Peterson-Kritiker: “Die davon beglückt und beschenkt aus dem Konzert gingen, haben denen viel voraus, die mit überheblichem, geringschätzigem Lächeln darüber hinweggehen. Denn die Unzufriedenen sind nicht zu beneiden und schon gar nicht zu bewundern.”
Zur Bewunderung des Pianisten trug der Gürzenich-Auftritt das Seinige bei. Und die Verbundenheit der deutschen Jazz-Öffentlichkeit mit ihm sollte alsbald noch wachsen: Nur wenige Monate später, im Herbst 1963, trifft Oscar Peterson in einer Schwarzwälder Villa in Villingen-Schwenningen auf einer Hausparty den SABA-Produzenten und baldigen MPS-Gründer Hans Georg Brunner-Schwer. Für ihn nimmt er in den Folgejahren einige der besten Alben seiner Karriere auf.

Karsten Mützelfeldt