Omer Avital – Abutbul Music

Home » Allgemein » Omer Avital – Abutbul Music

Omer Avital – Abutbul Music

Posted on

Omer Avital - Abutbul Music,_Album Cover (Jazz Village, VÖ: 06.05.2016)

Omer Avital live am 22.04. um 21:45 Uhr in Bremen, Kulturzentrum Schlachthof.

Interviews sind im Rahmen der jazzahead am 23.04. in Bremen möglich.

Villetaneuse, Anfang November 2015. Bevor das Wasser der Seine die überschaubare Kleinstadt nördlich von Paris streift, liegen Eiffelturm und Grand Palais ein gutes Dutzend Kilometer zurück. Unweit des Flusses stimmen fünf Musiker ihre Instrumente in einem Aufnahmeraum der »Midilive Recording Studios«, die ihrer Vintage-Holzvertäfelung wegen das Prädikat »Historical Vogue Studios« tragen. Das frisch formierte Quintett des Kontrabassisten und Komponisten Omer Avital hat sich anlässlich der Aufnahmen zu dessen neuem Album »Abutbul Music« für zwei Tage in einem französischen Studio einquartiert, weil sich die Instrumentalisten hier quasi auf halbem Wege entgegen kommen konnten. Omer Avital und Tenor- und Sopran-Saxophonist Asaf Yuria sind am Hudson River beheimatet, Schlagzeuger Ofri Nehemya lebte zwischen Totem Meer und Mittelmeer bevor er nach im Januar nach New York zog, Tenor-Saxofonist Alexander Levin ist gerade im Umzug von Israel nach New York begriffen, während Pianist Yonathan Avishai bereits vor vielen Jahren von Tel Aviv nach Frankreich zog.
Zwar weisen sämtliche Musiker des aktuellen Omer Avital Quintetts israelisch Provenienz auf, aber das musikalische Selbstverständnis des Ensembles nimmt sich auf »Abutbul Music« wie eine weltumspannende Balance zwischen Improvisiertem, Traditionellem und Notiertem aus. Die Platte spiegelt mit modernistisch geprägter Musikauffassung die Vielkulturen, in denen Omer Avital beheimatet ist. Arabische Weisen, traditionelle jemenitische, marokkanische und jüdische Folkloren, treffen im genuinen Komponisten- und Musikerduktus Omer Avitals auf ein Jazz-Fundament, das immer wieder auf abenteuerliche Weise ausbricht und Anknüpfungspunkte in der kulturell reich informierten DNA des Bandleaders sucht. »Abutbul Music« umfasst die bislang nonchalanteste und gleichsam intensivste Formulierung von Omer Avitals charakteristischer musikalischer Sinnesart.

»’Abutbul’ ist mein eigentlicher Familienname«, erklärt Omer Avital den Titel seines neuen Albums. »Es ist ein gar nicht so seltener jüdisch-marokkanischer Name. Locker übersetzt, bedeutet der Name ‚Vater der Trommeln’. Mein Vater änderte den Namen in Avital um, als meine Eltern in Israel ankamen, um eine stärkere israelische Identität auszudrücken. Ich mochte den Namen Abutbul immer sehr gerne, weil er mein eigenes Selbstverständnis als Arabisch-Jüdisch-Stämmiger unterstreicht. Meine Musik nannte ich folglich immer schon ‚Abutbul Music’ und ich fand, es war an der Zeit, einen Albumtitel von meiner Herkunft erzählen zu lassen«. Die »Vater der Trommeln«-Deutung des Namens mag dem Album einen Untertitel verleihen, aber der junge Drummer Ofri Nehemya verleiht den neun neuen Avital-Kompositionen ein Energiepensum, das dem exotisch anmutenden Melodienreichtum des Quintetts im Dialog mit Avitals Bass-Grundierungen einen swingend-metrenstarken Boden ebnet.
»Melodien sind die Monarchen meiner Musik«, sagt Avital und er betont, dass er sich sowohl in Brahms’ wie auch in Charlie Parkers Musik oder in jemenitischen Traditionals zuallererst vom melodischen Vermögen mitreißen lässt. »Es ist unglaublich schwierig, mit guten Melodien aufzuwarten, aber ich suche nach ihnen, weil sie in den meisten Fällen Türöffner zu jedweder Form von Musik sind. Wenn sie einen einmal gepackt haben, kann man sich weiter auf die musikalische Entdeckungsreise begeben. Als Komponist suche ich nach der Melodienfindung zumeist rhythmische Verbindungspunkte zwischen beispielsweise nordafrikanischem 6/8-Mittelteil und einer Songstruktur in 3/4-Taktung«. Exemplarisch für Avitals expansive Komponistenhandschrift steht die Nummer »Three Four«, deren Song-ähnliches Intro den Weg zu einem Mittelteil ebnet, der sattsam Platz für die nach freiem Ausdruck Ausschau haltenden Finessen der Solisten seines Quintetts bietet. Das wird von Avital zum kontinuierlichen Ausleuchten der Kontraste zwischen Saana-Lied, Anleihen an Berber-Musik, jüdisch-jemenitischer Musik, den New Yorker Jazz-Freiheiten der 50er- und 60er-Jahre und dem Pulsschlag der Moderne ermutigt. Die Resultate sind beeindruckende Song- und Balladen-Kleinode, in denen vermeintliche oder tatsächliche Gegensätze mittels der Geschwätzigkeit der Improvisation Hand in Hand gehen.

»Muhammad’s Market«, die Eröffnungsnummer, die Avital seinem Freund, dem Wynton Marsalis-Drummer Ali Muhammad Jackson gewidmet hat, bedeutet: »This is Jazz!». Nach einem alten, internen Band-Witz benannt, macht der Song dem holzvertäfelten Aufnahmeraum bei Paris mit außergewöhnlich lebendig und spontan klingendem Ensemblespiel, das an McCoy Tyner und Joe Henderson erinnert, alle Ehre. »New Yemenite Song« ist das Stück mit der längsten Laufzeit des Albums und besitzt Suiten-Charakter, weil es sich offensichtlich aus verschiedenen Teilen zusammensetzt. Das Pianissimo des Beginns besitzt mit europäisch anmutender Orchestrierung große melancholische Kraft, die von israelisch-jemenitischer Melodienführung aufgehoben wird, bevor im 7/8-Takt Stravinsky gestreift wird, der, angeführt von Yonathan Avishais muskulösem Pianospiel, im langsamen 7/4-Teil traditionelle jemenitische Fährten entdeckt.
»Die Nummer spiegelt mich nahezu perfekt«, sagt Avital. »Ich habe das Stück meinem Schwiegervater gewidmet, mit dem ich die Liebe und Bewunderung für unsere jemenitische Musik teile. Den Song ‚Ramat Gan, habe ich meiner Mutter gewidmet, die in Ramat Gan geboren und aufgewachsen ist. Sie war während den Aufnahmen des Albums sehr krank und verstarb vor der Veröffentlichung des Albums. Mir ist es wichtig, an die Generation unserer Eltern zu erinnern, denn sie sind Teile der alten Welt. Sie sprechen noch arabisch, sie besitzen ein Verständnis der verschiedenen Kulturen des Mittleren Ostens, das junge Menschen in unserer heutigen, verrückten Welt gar nicht mehr interessiert. Ich will mit meiner Musik nicht zurück in eine Zeit, die nicht meine ist. Aber ich trachte in meiner Musik nach einer Verbindung zwischen Moderne und Tradition. Wenn wir die Brücken zu unserer jeweiligen Geschichte abbrennen, ohne sie ein paar Mal beschritten zu haben, verlieren wir uns selbst aus den Augen, denn ohne Vergangenheit wird es schwierig, eine Zukunft zu gestalten. ‚Abutbul Music’ bereitet jedem Hörer hoffentlich in erster Linie Vergnügen, dessen Mehrwert für mich im Brückenbau zwischen all den Kulturen besteht, die mich als Menschen ausmachen.«

omeravital.com