Michael Villmow’s KölnBigBand – 1987-1990

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Michael Villmow’s KölnBigBand – 1987-1990

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KölnBigBand (Jazzline, VÖ: 04.05.2015 CD+LP)

Seien wir ehrlich. Spricht jemand in fernen Regionen der Jazzwelt von einer Cologne Big Band, dann dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die KölnBigBand, sondern der Klangkörper einer ARD-Anstalt gemeint sein, die WDR Big Band. Auch das Jazzorchester des Hessischen Rundfunks geht international schon gerne mal als Frankfurt Big Band durch. Die Struktur der hiesigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Landschaft wird im Ausland als zu komplex und verwirrend empfunden. Die Folge: Etablierte und weltweit bekannte Radio-Big Bands werden auf der nominellen Ebene weniger mit dem Namen des Senders denn mit dem der Stadt in Verbindung gebracht.

Viele Städte in Deutschland haben tatsächlich Big Bands, die nach der Heimatbasis benannt sind. Der Unterschied: Bei ihnen handelt es sich um Großformationen auf dem “freien Markt”. Manche erweisen sich dabei im täglichen Ãœberlebenskampf als verblüffend robust, als wolle man sie mit Nachdruck wiederlegen: die Prognose, ihnen sei nur ein kurzes Leben beschieden. Es sind weniger Unternehmen denn Unternehmungen, initiiert und mit Herzblut versorgt von Musikern, die viel, sehr viel investieren: Idealismus, Energie, Zeit, Nerven und, ja – Geld (blood, sweat & tears reichen da nicht aus). Die Größenordnung XL gilt für den instrumentalen Aufwand genauso wie für Engagement und Investitionen. Eines dieser subventionsfreien Orchester war die immerhin elf Jahre (sic!) existierende KölnBigBand (KBB), ins Leben gerufen und geleitet vom Saxophonisten, Komponisten und Arrangeur Michael Villmow.

1984, ein Jahr vor Abschluss seines Studiums an der Kölner Musikhochschule, wurde Villmow von seinem Arrangement-Lehrer Axel Jungbluth beauftragt, ein (für einen Semester-Schein notwendiges) Big Band-Arrangement zu schreiben. Dies sollte einer Art Initialzündung gleichkommen, die alsbald zur Gründung der KBB führte.

Ein wesentlicher Antrieb für Villmows mutigen Schritt (gemeinhin gilt allein schon die Idee, eine Big Band zu gründen, als freiwilliger Schritt in den unausbleiblichen finanziellen Suizid) war die Motivation, etwas Anderes, “Neues” zu machen. Eine Großformation mit Jazz- und Rockmusikern, die weder die swingende Big Band-Tradition weiterpflegt noch sich an der mehr experimentell ausgerichteten Ästhetik europäischer (und den Terminus Big Band bewusst vermeidender) large ensembles orientiert. Fusion im XL-Format, jenseits des Höher-Schneller-Weiter-Machismos mancher Jazzrock-Virtuosen, aber auch weit ab vom sweet, soft ‘n‘ easy(cheesy)-Gesäusel eines weichgespülten Pop- und Smooth Jazz.

Referenzmodelle gab es in Deutschland kaum, allenfalls das United Jazz & Rock Ensemble und Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass (die Villmow einst in seiner Geburtsstadt Hamburg live erlebt und die in ihm erste Ideen für things to come aufkeimen lässt). Der Unterschied: Hier waren es Jazzmusiker, die u.a. Rock- und Funk-Grooves spielten und dabei ein Jazz-spezifisches Interesse nicht außer Acht lassen wollten – das Improvisieren, die solistische Selbstdarstellung.

Villmow schwebte demgegenüber ein weniger individualistisch geprägtes Konzept vor: ein kompakter, aber immer noch transparenter Band-Klang, wesentlich getragen von den Sounds der E-Gitarre, Keyboards und einer pulsierenden Rhythmusgruppe. Diese stilistische Vorstellung kam nicht von ungefähr. Villmow (Jahrgang 1956) gehört zu einer Rock-sozialisierten Generation (seine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte er als Gitarrist), die Beschäftigung mit Jazz schloss die mit Blues, Pop und Fusion nicht aus, im Gegenteil.

Für die KBB suchte er Gleichgesinnte: junge Musiker, die hier eine willkommene Abkehr von der traditionellen Big-Band-Praxis an der Hochschule sahen, aber auch von der experimentelleren und freieren Ästhetik der damals die Domstädter Szene prägenden Kölner Jazzhaus-Initiative. Und die seine Haltung teilten, willens, ungeachtet aller Unkenrufe und Harakiri-Theorien an einer Sache gemeinsam zu arbeiten. Die Liste der Musiker, die in der Zeit von 1984 bis 1995 KBB-Mitglieder waren, kommt einem who is who der Kölner Szene gleich, damals wie heute ein Kristallisationspunkt und Schmelztiegel, Sprungbrett für nationale und internationale Karrieren.

1987 spielt die Band ihr Debüt Update ein (nomen est omen: von swingendem Mainstream-Big-Band-Jazz keine Spur). Ein Erstlingswerk, das einer Visitenkarte gleichkommt, klar und deutlich das Konzept vorstellt, das eigene Profil hörbar macht. Bereits hier wird offenkundig, dass Villmow ein Freund der Melodie ist, des Kantablen (da passt ins Bild, dass er von früh an bis heute sich viel mit Vokalmusik jedweder Couleur beschäftigt hat und übrigens auch selber singt) und bei aller Faszination für das Energie-Spiel der US-amerikanischen Fusion-Szene sich (s)einen Sinn für musikalische Ökonomie bewahrt hat. Hierin mag sich – Klischee hin, Klischee her – auch ein europäisches Erbe offenbaren.

Dies kommt noch deutlicher beim Nachfolge-Album zum Tragen. Und der Titel gibt einen in dieser Hinsicht – wenn auch “kodierten” – ersten erkennungsdienstlichen Hinweis: N steht für Norwegen, ein Land, in dem Villmow viereinhalb Jahre seiner Jugend verbracht hat, unweit von Oslo, umgeben von Natur und den Klängen norwegischer Volksmusik. Sie bildet für ihn gemeinsam mit Jazz und Klassik eine Art Dreieck prägender Einflüsse und Inspirationsquellen.

Der ästhetische Brückenschlag zu Norwegen wird noch untermauert durch die Präsenz des Saxophonisten Bendik Hofseth, der 1987 von seiner nordischen Heimat ins brodelnde New York gezogen war, um Michael Brecker in der Gruppe Steps Ahead abzulösen (und in bewusster Distanz zum Vorgänger den Hudson River gelegentlich in einen Fjord verwandeln konnte). Ein Mann mit mächtigem, sonoren, dringlichen Ton, der bisweilen so vokal, so sanglich daherkommt, dass man glaubt, einer postmodernen skandinavischen Hymne zuzuhören.

Der zweite Prominente auf N ist Chad Wackerman, der schon als Kind in Big Bands zu spielen pflegte, als langjähriger Schlagzeuger Frank Zappas profunde Rock-Erfahrungen sammeln konnte und als sideman u.a. des Gitarristen Allan Holdsworth mit komplexer, groovender Fusion-Musik nur allzu vertraut war.

Nicht ihre musikalische und schon gar nicht instrumentaltechnische Kompetenz (die man getrost voraussetzen darf), ist es, die hier beeindruckt. Hier agieren zwei “Gäste”, die sich hörbar nicht mit dem üblichen Verständnis einer Gast- und Solisten-Rolle zufrieden gaben, vielmehr Substanzielles zum großen Ganzen beitrugen, dies eben nicht als job betrachteten, sondern interessiert am big picture waren. Und damit teilten sie jenen Geist, der die KölnBigBand und ihren Leiter auszeichnete.

Michael Villmow ist seitdem ein wahrer Aktivposten, wenn es um das jazzmusikalische XL-Format geht (nebst diverser anderer Arbeitsbereiche als Komponist und Instrumentalist). Die KBB aber bleibt ein Meilenstein in seinem Schaffen. Ein arbeitsintensives und von viel Idealismus getragenes Kapitel, das Energien und Synergien freigesetzt und ihn belohnt hat – nur nicht in finanzieller Hinsicht… Nichts könnte Musik und Haltung der Band besser auf den Punkt bringen als zwei Worte, mit denen der Trompeter Randy Brecker die KBB beschrieben hat: “serious fusion”. Text: Karsten Mützelfeldt

Besetzung

Martin Auer – Rüdiger Baldauf – Joachim Becker – Ingolf Burkhardt – Matthias Erlewein – Karl Farrent – Peter Feil – Czeslaw Glyk – Dan Gottshall – Andy Haderer – Jakob Hansonis – Paul Heller – Bendik Hofsetz – Jörg Kaufmann – Thomas Lauer – Ernst Lessenich – Andreas Lonardoni – Rainer Müller-Irion – Jens Neufang – Hubert Nuss – Ludwig Nuss – Olivier Peters – Stephan Pfeifer – Uli Plettendorf – Hugo Read – Frank Reinshagen – James Reynolds – Peter Sagurna – Hans-Peter Salentin – Freddie Santiago – Stephan Scheuss – Lucas Schmid – Florian Schneider – Stephan Schneider – Michael Schürmann – Armin Tretter – Michael Villmow – Chad Wackerman – Ebo Wagner – Peter Weniger – Heiner Wiberny