Juliane Laake РMarin Marais: Pi̬ces de Viole

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Juliane Laake РMarin Marais: Pi̬ces de Viole

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Laake_Cover (Crystal Classics, VÖ: 01.07.2011)
Ende des 17. Jahrhunderts waren die italienischen Musiker in ganz Europa auf dem Vormarsch. Mit ihren virtuosen und furiosen Darbietungen im neuen italienischen Stil verdrängten sie alte Traditionen und einheimische Musiker. Einzig Frankreich widerstand der neuen Mode. Das lag vor allem an Ludwig XIV. Der König war musikalisch interessiert und gebildet, die Musik diente seinem Hang zu Glanz und Ruhm und
seit seinem Machtantritt 1661 hatte er sich die Stärkung des französischen Geschmacks in der Musik zu einer vordringlichen Aufgabe gemacht. Kongenial unterstützt wurde er dabei von seinem maitre de musique, J. B. Lully, pikanterweise einem gebürtigen Florentiner. Lully wurde zum Lehrer und Förderer von Marain Marais (1656-1728).
In Paris geboren nahm Marais früh Unterricht auf der Gambe bei dem berühmten Monsieur de Sainte-Colombe, „der aber nach sechs Monaten gewahr wurde, dass ihn sein Schüler überflügelte und ihm mitteilte, dass er ihn nichts mehr lehren könne“ (T. du Tillet).

1676 wurde er Mitglied des Orchesters der Opera Paris, das von Lully geleitet wurde. Kurz darauf trat er in die Dienste Ludwig XIV. und wirkte mehr als 40 Jahre am Hof des Sonnenkönigs in Paris und Versailles – als
Dirigent und Opernkomponist, aber vor allem als Gambist: „Man kann auch nicht daran zweifeln, dass sich die Geschicktesten unserer Zeit perfektioniert haben, … , besonders Herr Marais, dessen Können und schöne Interpretationen ihn von allen anderen unterscheiden, so dass er mit Recht von all seinen Hörern bewundert wird.“ (J. Rousseau, 1687). Marais hinterließ ein umfangreiches musikalisches Oeuvre für sein Instrument.
Zwischen 1686 und 1725 veröffentlichte er fünf Bücher mit Pièces de viole für ein bis drei Gamben und Continuo. Hinzu kommen noch zahlreiche handschriftlich überlieferte Werke; in der Summe ergibt das fast 700 Kompositionen! Und das zu einer Zeit, in der in den meisten anderen musikalischen Zentren Europas die Violine ihren Siegeszug als Instrument der neuen Virtuosität vollendet hatte und
die Gambe schon längst aus der Mode gekommen war.
„Es ist unnötig, die Musik hier zu veröffentlichen, denn die Sammlungen dieses
excellenten Komponisten sind in jedermanns Hand, sobald sie erscheinen.“ schrieb der Mercure galant 1711. Auch heute hat man das Gefühl, dass die Werke Marais‘ allgemein bekannt sind. Aber bei näherer Betrachtung wird offenbar, dass sich das eingespielte Repertoire auf einen relativ schmalen Ausschnitt aus dem Oeuvre Marais‘ beschränkt und der ungeheuren Vielfalt seiner Musik kaum gerecht wird. Kompositionen wie die – zweifellos sehr schönen – Folies d‘espagne, L‘Arabesque oder Labyrinthe findet man auf zahlreichen Aufnahmen, aber vergebens sucht man die amüsante Saillie du Caffé oder die wunderbare Sarabande la desolée.
Die vorliegende Aufnahme mit drei eher unbekannten Suiten aus drei verschiedenen Büchern der Pièces de viole möchte die Aufmerksamkeit auf den noch unerschlossenen Reichtum des Werkes von Marais lenken. Marais veröffentlichte in seinen Sammlungen kurze und leichte pièces für das breite Publikum, ebenso „schwierige Stücke voller Akkorde und Variation, um auch die begabtesten Spieler zu befriedigen“.
Dabei erweiterte er die klassische Abfolge der Suite (Prélude/Fantasie –
Allemande – Courante – Sarabande – Gigue) um freie, sogenannte Charakterstücke oft deskriptiven Charakters. Ein Beispiel hierfür ist die Saillie du Caffé aus der Suite C-Dur: Seit ca. 1670 kam der Café in Paris in Mode und wie für J. S. Bach scheint auch für Marais der neue ‚Wundertrank‘ ein bearbeitenswertes Thema gewesen zu sein. Die Suite C-Dur aus dem III. Buch lenkt den Blick noch einmal von einer ganz anderen Seite auf den unbekannten Marais: Geschrieben waren die Suiten von Marais für die Bassgambe. In der vorliegenden Aufnahme erklingt die Suite C-Dur auf der Diskantgambe und eröffnet damit eine völlig neue klangliche Dimension dieser wunderbaren Musik.
Marais selbst hatte im Vorwort zum III. Buch darauf hingewiesen, dass seine Kompositionen neben anderen Instrumenten auch auf der Diskantgambe gespielt werden könnten. Solche Empfehlungen waren damals nicht unüblich und dienten dem besseren Verkauf. Doch gerade zu jener Zeit erlebte die Diskantgambe
generell eine Blütezeit in Frankreich. Im Zuge der immer größeren Konkurrenz der Violine versuchte man hier, die Diskantgambe als Melodieinstrument und Alternative zur Violine stärker zu profilieren. Man bevorzugte die Vornehmheit und Modulationsfähigkeit des Gambentones gegenüber der zwar lauteren aber weniger angesehenen Geige – insbesondere der Diskantgambe wurden delicatesse und tendrenesse nachgesagt. In dieser Hinsicht knüpft die Aufnahme an die Bestrebungen jener Zeit an und hätte sicher das Wohlwollen
der Zeitgenossen Marais‘ gefunden.