Juliane Banse, Klaus Florian Vogt und viele mehr: Engelbert Humperdinck РK̦nigskinder

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Juliane Banse, Klaus Florian Vogt und viele mehr: Engelbert Humperdinck РK̦nigskinder

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KK_booklet:Layout 1 (Crystal Classics, VÖ: 01.02.2011)
Vierzehn Opern und Singspiele komponierte Engelbert Humperdinck, der 1854 in Siegburg als Sohn eines Gymnasiallehrers und einer Kantorentochter geboren wurde. Sechs davon sind Märchenopern, eine blieb bekannt: ›Hänsel und Gretel‹. Der Schatten des Erfolgswerks verdeckt andere, die für ihre Qualität und Theaterwirkung gleiche Aufmerksamkeit verdienten, etwa die ›Königskinder‹. Sie sind wie eine Ergänzung auf die Rückseite von ›Hänsel und Gretel‹ geschrieben. Das Trio der Hauptakteure gleicht sich: eine (böse) Hexe und zwei junge Leute, die durch harte Prüfungen auf den existenziellen Ernst des Lebens hingeführt werden.
Die einen schaffen den Schritt ins Leben, die andern scheitern, weil sie zu gut sind für diese Welt. Die Oper ›Hänsel und Gretel‹ findet zum happy end, die ›Königskinder‹ enden tragisch; die Trauer darüber komponierte Humperdinck lang und ausführlich aus.

Wenn in der Schlusssequenz der knapp dreistündigen
Oper erst der Spielmann sein letztes Lied singt, dann die Kinder aus der Stadt den jungen Toten im Abendrot
des winterlichen Berges ihr »Königskinder, Königskinder« nachrufen, wird jeder gerührt und ergriffen. Noch ehe sie ihre Liebe, ihre hohe ethische Einstellung und ihren sozialen Rang verantwortlich leben können, scheiden diese beiden Guten aus der Welt.
Das Libretto schrieb Elsa Bernstein- Porges 1894 unter ihrem Pseudonym Ernst Rosmer. Sie kam aus einem musikalischen Haushalt. Ihr Vater Heinrich Porges (1837–1900), Dirigent und Musikschriftsteller, in einer Prager jüdischen Familie aufgewachsen, angeblich ein unehelicher Sohn Franz Liszts und damit Cosima Wagners Stiefbruder, war ein glühender Anhänger Richard Wagners. Als solchen berief ihn König Ludwig II. von Bayern 1867 als Hofkapellmeister nach München, wo die Familie fortan lebte. Zuvor war sie, noch in Wien, vom jüdischen zum evangelischen Glauben übergetreten. 1880 gehörte Porges mit Engelbert Humperdinck zum Assistentenstab, der die Bayreuther ›Parsifal‹-Uraufführung vorbereitete. Elsa Porges, 1866 in Wien geboren, wuchs in München auf. Eine Laufbahn als Schauspielerin brach sie wegen eines Augenleidens ab und konzentrierte sich fortan auf das Schreiben insbesondere von Dramen. Aus dem Umkreis des Naturalismus bewegte sie sich immer mehr Richtung Symbolismus und Impressionismus. Im Oktober 1890 heiratete sie Max Bernstein, als Geheimer Justizrat ein angesehener Anwalt, im Nebenberuf Schriftsteller. Bis zu seinem Tod 1925 unterhielt er mit seiner Frau einen literarisch-musikalischen Salon in der Brienner Straße
im Herzen Münchens. Sie führte diesen bis zum Jahre 1939 weiter. Dann musste sie auf Anordnung der
Nationalsozialisten ihre Wohnung aufgeben. Angebote, in die USA zu emigrieren, schlug sie aus, weil ihrer
Schwester die Ausreise verweigert wurde. Die enge Beziehung zur Familie Wagner und die Tatsache, dass ihre Tochter mit dem Sohn des Dichters Gerhard Hauptmann verheiratet war, bewahrte sie nicht vor der Lagerhaft. Am 25. Juni 1942 wurde sie, 76-jährig und praktisch blind, mit ihrer Schwester Gabriele erst nach Dachau, dann nach Theresienstadt deportiert. Gabriele Porges starb nach wenigen Monaten. Elsa Bernstein erhielt – angeblich auf Intervention Winifred Wagners – den »Prominentenstatus« und überlebte. Sie starb am 2. Juli 1949 bei ihrer Tochter in Hamburg.
Die ›Königskinder‹ zählen zur ersten Gruppe ihrer Dichtungen. Zunächst waren sie als Schauspiel gedacht.
Heinrich Porges sprach 1895 Engelbert Humperdinck wegen einer Bühnenmusik an. Der sagte zu, überdachte
die Art der Komposition und entschloss sich für ein Melodram. Darin kamen praktisch alle Abstufungen im Verhältnis von Sprache und Musik von normaler Rede bis zum Gesang vor. Die Fassung erntete bei ihrer Premiere in München guten Erfolg. Dennoch wagten nur wenige Opernhäuser, sie nachzuspielen. Humperdinck entschloss sich zehn Jahre später, das Werk zu einer Oper umzuarbeiten. Der Text musste gekürzt, die Linien der Handlung vereinfacht werden. Elsa Bernstein ließ dem Komponisten dabei freie Hand. So entstand zwischen 1907 und 1910 die Oper ›Königskinder‹. Der Form nach baut sie auf Wagners Musikdramen auf, bezieht sich hörbar auf dessen Werke, auf die Harmonik und Zeitgestaltung in ›Tristan und Isolde‹, auf die Festszenen der ›Meistersinger‹. Humperdinck übernahm nicht die streng zuordnende Komposition mit Leitmotiven, die Personen, Beziehungen oder Handlungsweisen charakterisieren. Er ersetzte sie durch »Erinnerungsmotive« und atmosphärisch-klangliche Entsprechungen, die der Musik größere Beweglichkeit lassen. Deutlicher als Wagner setzte er Stilebenen zur Kennzeichnungen dramatischer Milieus ein. Der zweite Akt trägt eine vollkommen andere Grundfarbe als der erste, der dritte unterscheidet sich trotz aller Querbezüge erkennbar von den beiden anderen. Der Volkston ist in diese Stilistik bruchlos einbezogen. Einzelne melodramatische Elemente übernahm der Komponist auch in die Oper, kurze gesprochene Passagen,
vor allem aber die Komposition des Zeiterlebens, die dramatischen Verdichtungen im zweiten Akt und die nachsinnenden Dehnungen am Schluss. Zwischen Wagners ›Tristan‹, Debussys ›Pelléas et Mélisande‹ und Richard Strauss‘ ›Elektra‹ markieren die ›Königskinder‹ eine eigene Position in einer Zeit des geschichtlichen Umbruchs.
Habakuk Traber