Margarete Babinsky – Erwin Schulhoff

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Margarete Babinsky – Erwin Schulhoff

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Babinsky_N 67-084(Crystal Classics; VÖ: 01.02.2012)
Erwin Schulhoff, ein Prager Jude, wurde Opfer des Nationalsozialismus, kam am 24. August 1942 in einem süddeutschen Internierungslager um. Seit etwa 20 Jahren wird er wieder entdeckt, und es zeigt sich, dass ohne ihn eine entscheidende Facette in der Musik des 20. Jahrhunderts fehlen würde. Er ist keinem Mainstream zuzuordnen, sondern saugt wie ein Schwamm alle Strömungen seiner Zeit auf. Dadurch wird er zum Polystilisten.

Einen gewichtigen Teil seines Schaffens nimmt die Klaviermusik ein, denn er war selbst ein Pianist von hohen Graden. Die Jahre 1917-1919 sind bei ihm die Zeit der -esken: Grotesken, Burlesken, Humoresken, Arabesken, Pittoresken. Es sind alles sehr tänzerische Stücke.
Seit Anfang 1919 lebte Schulhoff in Dresden und scharte um sich Leute aus allen Künsten: Literaten, Maler, Architekten. Man erwärmte sich für den Dadaismus, den Schulhoff aus Berlin importierte. Er hatte dort den Maler George Grosz kennen gelernt, der sich an den Vor- und Frühformen des Jazz begeisterte.
Neben den kleinen, meist tänzerischen Formen hat Schulhoff auf dem Klavier auch die Großform der Sonate gepflegt. Die 1. Sonate, eigentlich schon seine 3., widmete er Thomas Mann. Sie ist durchlaufend notiert, prägt jedoch deutlich, durch Zäsuren getrennt, die vier Satzcharaktere der traditionellen Sonate aus: Sonatenhauptsatz, langsamer Satz, Scherzo, Rondo-Finale. Der Kopfsatz verzichtet allerdings auf den herkömmlichen Sonaten- Dualismus, bleibt einheitlich in der Thematik. Er wird eröffnet von clusterhaften Akkorden, die sich durch die ganze Sonate ziehen. Der langsame Satz ist eine Passacaglia, deren Thema, in Quartstrukuren angeordnet, alle 12 Töne enthält. In dem hochchromatischen Satz schwingt noch das Erbe von Schulhoffs Lehrer Max Reger nach. Trockene Trommelrhythmen intonieren als Scherzo einen Geschwindmarsch mit jazzigen Synkopen. Das Finale ist nichts anderes als eine Variante des Kopfsatzes, dessen Elemente neu montiert werden. Alles mündet in ein unheimlich rotierendes Perpetuum mobile.

Die 3. Klaviersonate beendete Schulhoff am 26.5.1926. In dem fünfsätzigen Werk kreiert er wiederum neue Stile. lm Kopfsatz restituiert er nun wieder den alten Sonatendualismus, aber mit umgekehrten Vorzeichen. Das erste Thema ist das sangliche, erinnert mit seiner Terzenseligkeit an die Ungarischen Tänze von Brahms, das zweite ist rhythmisch pointiert, graziös, etwas burlesk. Zum Signum der Sonate wird das häufige Verlöschen der Musik. Seit 1919 hatte Schulhoff immer wieder improvisatorische Musik ohne Taktstrich geschrieben, meist in herber Atonalität. Hier nun ist der 2. Satz eine Improvisation ohne Metrum, die auf drei Systemen drei Schichten übereinander lagert: Glockentöne im Bass, volle Akkorde in der Mitte und vogelrufartige Girlanden im Diskant. Der 3. Satz ist ein Scherzo als Perpetuum mobile. Der Trauermarsch des 4. Satzes ist ein absolutes Novum bei Schulhoff. Wieder drei Systeme, drei Schichten: Lastende Akkorde in der Tiefe, eine sehr kleinintervallige, stockende Melodie in der Mittellage, darüber achttönige Akkorde, die bis in den äußersten Diskant reichen. Der letzte Satz nennt sich “Finale retrospettivo”, d.h., er ist eine Variante des Kopfsatzes. (Gottfried Eberle)

1930 erhielt Schulhoff durch Vermittlung eines Freundes – Karel Boleslav Jirák, Programmchef des Prager Radiojournals – die Möglichkeit, Jazzkompositionen auf zwei Klavieren im Rundfunk aufzuführen. Als Klavierpartner wurde Oldrich Letfus vorgeschlagen, der bereits durch sein Spiel auf der elektrischen Jazzorgel bekannt war. So entstand eine langjährige Zusammenarbeit der beiden Musiker, die bis zu Schulhoffs Weggang nach Ostrava im Jahr 1935 andauerte.
Schulhoff und Letfus waren erstmals am 13. November 1930 als Jazz-Klavierduo im Rundfunk zu hören, im Jahr darauf regelmäßig einmal im Monat in der Sendezeit nach 22 Uhr, ab 1932 alle vierzehn Tage und später noch häufiger, auch vormittags. Schulhoff arbeitete diese Jazz-Kompositionen dahingehend aus, dass ein Klavierpart vollständig auskomponiert war und dem zweiten Klavier die Rolle des improvisatorischen Umspielens und Erweiterns zukam und veröffentlichte seine Kompositionen für Jazz-Klavierduo unter dem Pseudonym Hanus Petr. Zu seinen Schlagern zählten u.a. Butterfly und Mitternachtsgespenster, die auch in der vorliegenden Aufnahme enthalten sind.
Da leider keine Aufnahmen dieser Rundfunkübertragungen vorhanden bzw. erhalten sind, entstanden die vorliegenden Aufnahmen im Spannungsfeld zwischen einer möglichen Interpretation im Rahmen der damaligen Auffassung von Jazz und einem heutigen Blickwinkel der vieles, bis hin zur Persiflage, zulässt.

(Andreas Wykydal)

Margarete Babinsky, Pianistin
“Der Mittelweg ist der einzige, der nicht nach oben führt!”
Dieser Satz von Jeanne d’Arc passt genau auf den Werdegang der Pianistin Margarete Babinsky. Bereits während ihres Studiums konnte sie aufgrund zahlreicher nationaler und internationaler Wettbewerbspreise, unter anderem in Großbritannien, Italien und in den USA, eine umfangreiche Konzerttätigkeit beginnen.
Diese führte die Künstlerin zu den meisten führenden Veranstaltern Österreichs sowie nach Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Moldawien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, in die Türkei, nach Tschechien und Ungarn sowie nach Ägypten, Marokko, Israel, nach Pakistan, in den Senegal, nach Ostafrika, China, Japan, Brasilien sowie in die USA.
Bekannte Orchester wie zum Beispiel die Wiener Symphoniker, das Salzburger Mozarteum-Orchester, die Niederösterreichischen Tonkünstler, die Budapester Symphoniker, das Wiener Kammerorchester und die Wiener Kammerphilharmonie, das Kammerorchester der Wiener Volksoper, das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim, das RSO Berlin, das BBC Welsh Symphony Orchestra, das Orchestre d’Auvergne, das Philharmonische Orchester Lublin, die Philharmonie Bohuslav Martinu, die Staatliche Philharmonie Aserbaidschan und das Cairo Symphony Orchestra haben die Pianistin zu Soloauftritten eingeladen. Stellvertretend für die zahlreichen Dirigenten, mit denen Margarete Babinsky zusammengearbeitet hat, seien an dieser Stelle Lord Yehudi Menuhin und Vladimir Fedosejew genannt.
Margarete Babinsky ist in Wien geboren, sie studierte an der Wiener Musikuniversität und am Salzburger Mozarteum unter anderem bei den Professoren Renate Kramer-Preisenhammer, Michael Krist, Karl-Heinz Kämmerling und Rudolf Kehrer. Aufgrund ihrer hervorragenden Ausbildung und außergewöhnlichen Begabung hat sie sich sowohl als Interpretin des klassischen Klavierrepertoires, als auch der zeitgenössischen Literatur einen Namen gemacht. Ihre Discografie repräsentiert alle Facetten des Repertoires. Bereits für ihre erste CD-Einspielung mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart wurde sie 1999 von der Mozart-Gemeinde Wien mit der “Wiener Flötenuhr” ausgezeichnet.
Als Ergänzung zu ihrer solistischen Tätigkeit unterrichtet Margarete Babinsky an der Wiener Musikuniversität und beschäftigt sich auch intensiv mit Kammermusik. Ihre Partner sind international anerkannte Künstler wie Prof. Werner Hink, Karin Adam, Elisabeth Jess-Kropfitsch, Stefan Jess-Kropfitsch, Luz Leskowitz, Christoph Stradner, Wolfgang Panhofer, Karin Leitner und Andreas Schablas. www.babinsky.at

Andreas Wykydal, Pianist
Andreas Wykydal wurde in Wien geboren und erhielt seine pianistische Ausbildung am Konservatorium Wien bei Helene Sedo-Stadler. 1993 legte er die staatliche Lehrbefähigungsprüfung mit Auszeichnung ab. Seither unterrichtet er an den Musiklehranstalten Wien und ist seit 1998 Schulleiter der Musikschule in Wien / Alt Erlaa.
Sein pianistischer Schwerpunkt liegt bei der Musik des 20. Jahrhunderts, zahlreiche Uraufführungen zeitgenössischer Werke sowie die Vergabe von Auftragskompositionen belegen dies.
Als Komponist schreibt er für verschiedenste Besetzungen, seine Werke werden im In- und Ausland, so zum Beispiel im Wiener Konzerthaus, im Wiener Musikverein, bei den Bregenzer Festspielen, im Kunsthaus Bratislava, im Österreichischen Kulturforum New York, im Rahmen des Budapester Frühlingsfestivals regelmäßig mit großem Erfolg gespielt. 1997 erhielt er den Förderungspreis des Theodor Körner Fonds für sein Kammerkonzert für Gitarre und Kammerensemble, 1998 ein Arbeitsstipendium der Stadt Wien für das Stück “…” (Puzzle 111-Etüde) für Schlagwerkensemble.
Sein Interesse für Jazz, bzw. Improvisation führte zu den vorliegenden Aufnahmen mit Margarete Babinsky. Andreas Wykydals Improvisationen über die Jazzstücke Schulhoffs stehen in einem interessanten Spannungsfeld zwischen einer möglichen Interpretation im Rahmen der Schulhoffschen Auffassung von Jazz und dem Blick darauf aus der heutigen Zeit. Vieles, bis hin zur Persiflage, schien in diesem Spannungsfeld möglich und wurde von Andreas Wykydal auch konsequent umgesetzt.