Jos̩ James РNo Beginning No End

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Jos̩ James РNo Beginning No End

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cover_NoBeginningNoEnd_web (EMI Blue Note, VÖ: 18.01.2013)
„No Beginning No End bringt genau auf den Punkt, was Musik im Moment für mich bedeutet”, sagt José James über sein Blue-Note-Debüt. „Ich will mich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen müssen. Ich habe mich entschlossen, dass ich nicht mehr bloß als Jazzsänger gesehen werden will, und das hat mich richtig befreit. Nachdem ich gemerkt hatte, dass Jazzgesang einfach nur etwas ist, das ich tue, eine reine Bezeichnung, fühlte ich mich als Künstler frei und konnte Stücke ohne irgendwelche Limitierungen schreiben.”
No Beginning No End ist ein starkes künstlerisches Statement, ein musikalischer Trip, der sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit zwischen verschiedenen Styles bewegt – stets verbunden von James’ alles durchdringender Stimme. Das Album öffnet ein neues Kapitel im künstlerischen Werdegang des 33-jährigen Singer/Songwriters. Das völlig eigenständig und ohne Plattenvertrag generierte, aufgenommene und produzierte Album ist sein bislang persönlichstes Werk.

Für die Albumproduktion konnte James ein beeindruckendes Team von Sidekicks für sich gewinnen: darunter der Produzent und Bassist Pino Palladino; der Pianist Robert Glasper, ein ebenso geschätzter wie experimentierfreudiger Blue-Note-Kollege; R&B-Sängerin/Songwriterin/Gitarristin Emily King; die aufstrebende französisch-marokkanische World-Pop-Sängerin Hindi Zahra; sowie Kris Bowers, 2011 der Gewinner der Thelonious Monk International Piano Competition. „Ich fühle mich so, als sei dies mein erstes Album als Künstler“, stellt James fest. „Dies war das erste Mal, dass es kein Label hinter mir gab, kein A&R – nur mich und meine Beziehung zur Musik und meine persönliche Musikgeschichte.”
James hat sich bereits mit seinen drei Vorgängeralben einen Namen als Wegbereiter einer berauschenden Mixtur aus Jazz, Hip-Hop, R&B und Electronic gemacht. Mit seinem Debüt The Dreamer (2008) und dem Folgealbum BlackMagic (2010) – beide produziert vom britischen DJ-Guru Gilles Peterson – startete der in Minneapolis geborene aber in New York lebende Sänger seine Karriere als Underground-Sensation in zwei verschiedenen Musikszenen: in der des Modern Jazz und in der DJ-Clubszene. Sein musikalischer Weg folgt einem ganz eigenen Rhythmus und einer eigenen Logik. James ist ein musikalischer Allrounder, ein Künstler, der sich einfach nicht klassifizieren lässt, der sich ebenso wohl fühlt, wenn er die Bühne mit einer Jazzlegende wie McCoy Tyner teilt, wie wenn er im Studio mit Rappern wie Oh No oder dem Electronic-Überflieger Flying Lotus arbeitet.
In der diesjährigen Februar-Ausgabe der New York Times beschreibt Ben Ratliff den musikalischen Zauber von James folgendermaßen: „Er ist ein romantischer Bariton begleitet von einer Deep-Funk Band, er streckt die Songs, und erinnert dabei sowohl an den 70s-Sound von Roberta Flack und Gil Scott-Heron als auch an die 90er und Nuller Jahre à la J Dilla.” Im folgenden zieht er noch Vergleiche zu dem R&B-Superstar D’Angelo, wobei er hervorhebt, dass James „eine ganz andere Art von Sänger als D’Angelo ist. Er ist ein bisschen zarter und geht mehr in die Richtung eines akustischen Singer-Songwriters.”
Mit No Beginning No End widmet James den Strukturen von Popsongs noch mehr Aufmerksamkeit, wobei er jedoch durchweg jenen traditionell mit Jazz assoziierten Überraschungsmoment beibehält. Oftmals schimmert seine Vorliebe für die softeren Sounds der späten 60er und 70er R&B-Songs durch, vor allem der Musik von Flack, Donny Hathaway und Marvin Gaye. Tatsächlich war es die Begegnung mit Gayes legendärem Weggefährten Leon Ware, der Gayes bahnbrechendes Album I Want You von 1976 produziert hatte, die James zu seinem herzergreifenden Song „Bird of Space” inspirierte. „Leon brachte mich zu einem Ort zurück, der meine Musik beeinflusst hat, und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich gerade lernte, wie Künstler wirklich zusammenarbeiten können“, erklärt James. „’Bird of Space’ bezieht sich auf The Dreamer mit seiner sehr intimen, sinnlichen Atmosphäre und seinen Loops. Was den Text betrifft, ist dies mein persönlichster Song überhaupt.“
Wie „Bird of Space” ist auch das gospelhafte „Do You Feel” eine Komposition, in der James für Musik und Text verantwortlich zeichnet. Bereichert wird sie durch ein an Ray Charles erinnerndes Klaviersolo von Kris Bowers. „Ich saß einfach am Klavier und dieser Song kam heraus“, erinnert sich James. „Bei der Bridge wurde es richtig interessant. Mir gefallen Songs, die von außen betrachtet simpel sind und dann in ihrem Inneren plötzlich unerwartete Seiten an sich haben.”
Ein weiterer entscheidender Impulsgeber für das neue Projekt war Pino Palladino. Als James in London lebte, lud Palladino ihn zu einer Writing Session ein. Der Bassist hatte einige Akkordfolgen, die er dem anderen zeigen wollte. Der Funke zündete sofort und innerhalb von 20 Minuten hatten die beiden das unwiderstehliche „Make It Right” geschrieben, bei dessen Aufnahme nun auch einige der langjährigen Bandkollegen von James zu hören sind: Drummer Richard Spaven, Keyboarder Grant Windsor, Posaunist Corey King, Trompeter Takuya Kuroda und Gitarrist Jeremy Most.
Augenscheinlich war Palladino so begeistert über das Ergebnis von „Make It Right”, dass er sich gleich als Produzent für das Album anbot. Da einige der Sessions für die Magic Shop Studios in New York City geplant waren, traf James sich mit Brian Bender, der letztendlich als ein weiterer Co-Produzent in das Projekt mit einstieg. „Beide hatten ganz unterschiedliche Rollen. Bei Pino ging es vor allem um die Qualität der Musik, um das Handwerkliche. Da habe ich mich im Vergleich zu früheren Werken ganz schön gesteigert”, urteilt James. „Brian dagegen half mir beim Abmischen; er hat eine fantastische Klangwelt erschaffen, in die ich als Künstler eintauchen kann.”
Palladino war auch an der Komposition des geschmeidigen Albumopeners „It’s All Over Your Body” beteiligt, inklusive der Voodoo-Bläser, sowie am zauberhaften Titelstück, das einmal mehr James‘ Fähigkeit unter Beweis stellt, extrem ruhige Balladen enorm feinfühlig vorzutragen. James selbst bezeichnet „No Beginning No End” als den “baby-maker” seines Albums, und tatsächlich hat man ihn selten so sinnlich erlebt. „Mir schwebte da so eine Art innere Zwiesprache vor – im Song geht es um diesen inneren Kampf: Man ist unterwegs und getrennt von denen, die man liebt, andererseits aber ist man mit etwas beschäftigt, das man auch sehr liebt, nämlich die Musik. Das ist nicht gerade ein Leben, mit dem jeder klarkäme, aber neben der vielen Einsamkeit birgt es auch viele poetische Momente in sich.”
„Trouble”, ein ansteckender Mid-Tempo-Jam, dessen anfängliche Bassline an Bill Withers erinnert, bevor der Song sich zu einem fiebrigen Sly-Stone-Vibe aufschwingt, schrieb James gemeinsam mit Scott Jacoby. Die Dringlichkeit der Lyrics und die leicht bedrohliche Stimmung, so James, verbinden ihn mit R&B Legenden wie Sam Cooke, Marvin Gaye und Al Green – allesamt bekannt als Soulmen mit ‚Problemen‘. „Ich denke, wir unterschätzen, wie sehr sie als emotionale Wegbereiter fungierten“, sinniert James. „Sie öffneten neue Wege für männliche Verletzlichkeit und Einfühlsamkeit innerhalb der black music.”
Doch es gibt noch weitere Songs auf No Beginning No End die aus Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern entstanden sind. Wie der Titel bereits erahnen lässt, wurde das charmante „Vanguard” im berühmten Village Vanguard geschrieben, und zwar mit Glasper. „Wir setzten uns an dieses berühmte Klavier und er gab mir die Akkorde. Diese spezielle Art der Zusammenarbeit mit ihm war ein wahrer Segen“, erinnert sich James. Nicht nur hört man auf dem Stück Glaspers hypnotisierende Fender Rhodes, auch Chris Dave, der Drummer von Glaspers Band Experiment, gibt dem Song einen ureigenen rhythmischen Elan.
Die sanften Balladen „Come to My Door” und „Heaven on the Ground” stammen beide aus der Feder von Singer/Songwriter/Gitarristin Emily King, mit der James schon oft gearbeitet hat. Der erste Song war ursprünglich gedacht für East Side Story, Kings eigenes Debütalbum von 2006, für das sie für den Grammy nominiert wurde, doch kam der Song damals nicht aufs Album. „Es ist so ein wunderschöner, einfacher Song. Ich wollte gerne etwas ganz klar und einfach ausdrücken. Sonst habe ich mich immer mehr mit abstrakteren Themen beschäftigt und wollte, dass die Texte möglichst vielschichtig sind. Dagegen ist ‚Come to My Door’ ein ganz geradliniger Popsong.” Das zweite Stück ist ein Duett mit King, welches sie exklusiv für James geschrieben hat.
Ein weiteres umwerfendes Duett – dieses mal mit der französisch-marokkanischen Sängerin Hindi Zahra – ist das faszinierende „Sword + Gun”. Mit der von nordafrikanischer Musik beeinflussten Percussion und den an Fela erinnernden Basslines hat James sich denkbar weit von ihm vertrautem Terrain entfernt. „Da bin ich in Hindis Welt eingetaucht“, erklärt James. „Kulturell gesehen ist das sehr interessant, denn wir hatten es hier mit Gnawa-Musik aus Marokko zu tun; dort spielen sie alle dieses einheimische Percussion-Instrument. Das ganze war sehr gemeinschaftlich – wir wollten beide einen Song schreiben, der weit über uns selbst hinausgeht.”
Das Album schließt mit der beeindruckenden Ballade „Tomorrow” ab. Begleitet wird James hier von Bowers am Piano und einem von Jules Buckley arrangierten Streicherensemble. Als Komponisten nennt James den bekannten R&B/Funk-Keyboarder und Sänger Amp Fiddler. Als James anfänglich mit Fiddler im Studio arbeitete, nahm er Fiddler auf, wie dieser am Klavier Rhapsodien improvisierte. Später bat James seinen Kollegen, ihm diese Klaviermelodie als Grundlage für „Tomorrow” zu überlassen. „Der Text handelt von Wandel, davon, dass man den Schmerz akzeptieren muss den man spürt, wenn man jemanden verliert, und wie man versucht, diesen Schmerz zu überwinden”, sagt James. „Ich hörte mir auch viel von Nick Drake an und beschloss, dass ein paar Streicher ideal wären, um den Song etwas optimistischer zu machen.”
Ein Optimismus, den man für ein Verdikt des gesamten Albums kaum nötig hat, ist „No Beginning No End“, selbst ganz nüchtern betrachtet, eine veritable Meisterleistung, auf die José James zu Recht stolz sein darf und die diesem ausgereiften und weitsichtigen Künstler allerorten ein großes positives Echo bescheren sollte. A sensuous spirit on the rise!