Cannonball Adderly Quintet / Benny Carter Sextet – Live in Cologne 1961

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Cannonball Adderly Quintet / Benny Carter Sextet – Live in Cologne 1961

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CannonballAdderlyQuintet_LiveInCologne1961 (Jazzline, VÖ: 01.03.2015/ LP: 01.05.2015)

Im September 1959 steigt Julian Adderley aus der Band von Miles Davis aus und formiert mit seinem Bruder Nat ein Quintett, das sich als weitaus erfolgreicher erweisen wird als sein erstes. Im November 1960 steht ihre erste Europatournee an. Die Band reist durch die Niederlande, Deutschland, Schweden, England und Frankreich – als Teil von Norman Granz’s JATP (Jazz at the Philharmonic) mit Coleman Hawkins, Benny Carter, Don Byas, Dizzy Gillespie, Stan Getz, Lalo Schifrin und J.J. Johnson. Dem Adderley Quintett kommt die Aufgabe zu, die Abende zu eröffnen, vertraglich zugestanden werden der Band allerdings nur 20 bis 30 Minuten. Dies ruft während der Tour immer wieder Kritik hervor.
Fünf Monate später ist “Cannonballs” Gruppe (Nat Adderley, Kornett, Victor Feldman, Vibraphon und Piano, Sam Jones, Bass und Cello, Louis Hayes, Schlagzeug, und als Gast ein noch relativ unbekannter Ron Carter, der während Jones‘ Cello-Einlagen den Bass-Part übernimmt) wieder in Europa und am 15. April wieder in Paris. Diesmal dürfen die Musiker länger spielen (u.a. dokumentiert auf der CD “En Concert avec Europe1”). Einen Tag nach dem Auftritt im Olympia gastiert die Band im Kölner Gürzenich (und präsentiert Titel, die auf dem französischen Mitschnitt nicht zu hören sind). Die Rheinländer bejubeln die Adderleys – nicht so Dieter Zimmerle, der damalige Herausgeber der Zeitschrift Jazz Podium, deren April-Cover die beiden Brüder zeigte. Die Kritik entzündet sich nicht – wie noch im Jahr zuvor – an der Kürze des Auftritts, sondern an so gut wie Allem. Mit der Ãœberschrift seines Artikels spielt Zimmerle indirekt auf den Spitznamen des Altsaxophonisten an (ein Freund aus Florida hatte ihn einst ob dessen unersättlichen Appetits “Cannibal” getauft, woraus alsbald und mit schnell zunehmendem Bauchumfang “Cannonball” wurde) und titelt seinen Text “Magerer Adderley – gewichtiger Peterson”:
“Die hohen Erwartungen, die die Jazzfreunde in die erste persönliche Begegnung mit dem durch seine eindrucksvollen Plattenaufnahmen glänzend renommierten Adderley-Quintett setzten, wurden nicht erfüllt. Die Musiker schienen nicht geneigt, so aus sich herauszugehen, wie es die Musik, für die sie bekannt wurden, erfordert hätte. Es dürfte auch kein zufälliger Einzelfall sein, dass das Adderley-Quintett ein Programm bot, als ob es um irgendein belangloses Engagement in einem Nachtlokal und nicht um ein für den Jazz repräsentatives Konzert. Dass Nat Adderley ein guter Trompeter, aber doch nicht besser als eine ganze Reihe amerikanischer und europäischer Kollegen ist, nahm man zwar ohne Ãœberraschung auf, dass aber sein berühmter Bruder mehr durch seinen trockenen Humor als durch überragende solistische Leistungen auffiel, war doch sehr enttäuschend.”

Damit nicht genug: Zimmerle bescheinigt Hayes ein “überlanges Solo”, bezeichnet das “Cello-Intermezzo als glatten Missgriff, und wenn es erregte, dann nur negativ”, und die Entscheidung, den “guten Vibraphonisten” Feldman gerade bei den gemeinsamen Konzerten mit dem Oscar Peterson Trio auch als Pianisten zu featuren, als “zumindest unklug”. Fazit: “Adderley fiel Peterson gegenüber rettungslos ab”.
Nun dürfte es zugebenermaßen für kaum einen Pianisten ein Leichtes zu sein, die Bühne mit dem virtuosen und überaus populären Kanadier zu teilen. Und bei immerhin sechs der insgesamt zehn Deutschlandauftritte beschloss das Peterson Trio den Abend. Nur drei Konzerte – den Tour-Auftakt in Köln, München und Karlsruhe – bestritt die Band der Adderley-Brüder allein (beim Tour-Abschluss in Essen gesellte sich Mahalia Jackson zu ihnen). Doch der WDR-Mitschnitt bestätigt keineswegs den Eindruck Zimmerles (der beide Formationen in Stuttgart gesehen hatte). Freilich unbestritten ist, dass Cannonball ohne Wenn und Aber der herausragende Solist des Quintetts war und die sideman ihm in dieser Hinsicht nicht das Wasser reichen konnten.

Victor Feldman steigt wenige Tage nach dem Kölner Konzert aus der Band aus, da seine Frau ein Kind erwartet und er sich für die nächsten Monate vom Tournee-Leben zurückziehen möchte. Im Juni steht der Nachfolger bereit, ein weiterer Wahl-Amerikaner aus Europa: Joe Zawinul. Ein halbes Jahr später stößt der Tenorsaxophonist, Flötist und Oboist Yusef Lateef hinzu und lässt aus dem Quintett ein Sextett werden. Der erste Auftritt der neuen Band auf europäischem Boden führt sie nicht etwa nach Paris oder London, sondern in ein Dorf in den Ardennen, nach Comblain-La-Tour (zwischen 1959 und 1966 eines der ersten großen europäischen Open-Air-Jazz-Festivals). Die Musiker hatten noch nie vor einer so gewaltigen Kulisse von 42.000 Zuschauern gespielt und selten eine bei Dauerregen so glückliche Hörerschaft erlebt. Für “Cannonballs” kulinarischen Genüssen ebenfalls aufgeschlossenen Bruder Nat sollte dieser Belgien-Besuch auch aus einem anderen Grunde unvergesslich bleiben (wovon er bis zu seinem Lebensende gern erzählte): Hier aß er sein erstes Steak mit Sauce Bérnaise …

Ein gutes halbes Jahr nach Adderleys Köln-Visite reist ein weiterer stilbildender Altsaxophonist aus den USA (nicht des Hardbop/Souljazz, sondern des Swing) in die Domstadt, Benny Carter. Diesmal geht es nicht um einen Konzertmitschnitt, sondern um Studioaufnahmen. Im Studio 1 des Westdeutschen Rundfunks trifft er auf Orchester-Mitglieder von Kurt Edelhagen (der seit 1957 in Diensten des WDR stand und eine Big Band aufgebaut hatte, die keine Unterhaltungsmusik spielen musste, sondern sich in erster Linie auf Jazz konzentrieren konnte): Saxophonist Karl Drewo, Posaunist Raymond Droz, Pianist Francis Coppieters, Bassist Erich Peter und Schlagzeuger Stuff Combe. Zwei Wochen zuvor hatte Carter in New York ein Album eingespielt, das sein bekanntestes werden sollte: Further Definitions, eine Re-Union mit dem Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins (Bezug nehmend auf eine legendäre Aufnahmesession der Beiden von 1937 in Paris). Schon das Vorjahr hatte die Beiden wiedervereint – im Rahmen jener JATP-Tournee, die einen anderen Altisten erstmals in die Alte Welt brachte, Julian “Cannonball” Adderley. Und der nannte als wichtigsten frühen Einfluss – neben Charlie Parker – stets einen Namen, den von Benny Carter.

Karsten Mützelfeldt