Billie Holiday // Buddy DeFranco Quartet – Live in Cologne 1954

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Billie Holiday // Buddy DeFranco Quartet – Live in Cologne 1954

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BillieHoliday-BuddyDeFranco (Jazzline, VÖ: 01.11.2014 / auch als LP erhältlich, VÖ: 09.01.2015)

Das Jahr 1954 sollte Deutschland einiges an jazzmusikalischer Prominenz bescheren: u.a. Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Oscar Peterson, Illinois Jacquet, Coleman Hawkins und die Big Bands von Woody Herman und Count Basie. Und: Es hatte bereits viel versprechend begonnen.
Im Januar reisen zwölf US-amerikanische Musiker gemeinsam nach Europa. Eine „intime” Alternative zu Jazz at the Philharmonic, ohne jene sportiven battles sich im Wettkampf hochschaukelnder Solisten. Name des Tour-Pakets: Jazz Club USA, benannt nach einer gleichnamigen Radioshow Leonard Feathers beim Sender Voice of America.
Feather vereinte in sich gleich mehrere Tätigkeiten im Jazz-Business: Er war Kritiker, Moderator, Publizist und Redakteur, Pianist, Komponist, Produzent und Impresario, beseelt von dem Wunsch, dem Jazz als Kunstform mehr Akzeptanz zu verschaffen. Mit einem Sendungsbewusstsein, das dem von JATP-Initiator Norman Granz durchaus ähnelte, aber weniger von Geschäftssinn getrieben, schickt er ein eigenes Mini-Festival auf Reisen (und agiert obendrein als Bühnenansager): ein Trio um die singende Pianistin Beryl Booker, dessen Gründung Feather selbst mitinitiiert hatte, eines um den Vibraphonisten Red Norvo, das Quartett des Klarinettisten Buddy DeFranco und schließlich Billie Holiday. Sie hatte einzig ihren regulären Pianisten Carl Drinkard mitgebracht.
Wer die Rhythmusgruppe bilden sollte, war zunächst unklar, denn gleich drei Bassisten und zwei Schlagzeuger hatten sich von vornherein geweigert, mit Lady Day zu arbeiten. Ihre Begründung: Sie sei schwierig, unberechenbar und in ihren Leistungen zu schwankend. Schließlich ließen sich im letzten Moment doch noch zwei finden, die das „Wagnis” einzugehen sich bereit erklärten: Red Mitchell und Elaine Leighton. Indes, für etwaige gemeinsame Proben war es bereits zu spät.
Das Programm folgte einer wohlkalkulierten Dramaturgie. Die Abende eröffnen sollte eine reine Frauen-Formation, das Trio von Beryl Booker mit Bonny Wetzel und Elaine Leighton. Anschließend präsentierten sich Red Norvo, Jimmy Raney und Red Mitchell. Nach einer kurzen Pause folgten Buddy DeFranco, Sonny Clark, Gene Wright und Bobby White. Der eigentliche Höhepunkt, der Auftritt Holidays, war allerdings noch nicht der Schlusspunkt: Den Abend beendete eine Session mit Holiday, DeFranco, Norvo, Raney, Clark (der das erste Klavier-Solo spielt, das zweite stammt von Booker), Mitchell und Leighton. Dieser Ablauf wird bei allen Gastspielen mehr oder weniger eingehalten.
Holidays erste Europa-Tournee beginnt am 11. und 12. Januar in Stockholm. Jazz Club USA hatte anfangs unter keinem guten Stern gestanden: zunächst die Weigerung einiger Musiker, den Star zu begleiten, fehlende Zeit für Proben, dann waren sie zum Auftakt-Konzert in Stockholm fast zu spät gekommen, nachdem dort ein Schnee-Chaos ausgebrochen war, man in Kopenhagen landen musste, um von dort mit dem Zug anzureisen. Eine mit Terminen vollgestopfte Tour mit sehr wenig Ruhephasen, dafür umso mehr Reisestress. Nach einer Woche Skandinavien folgten – noch bevor die Truppe in Holland, Frankreich und der Schweiz auftrat – zehn Gastspiele in Deutschland, darunter auch ein Auftritt in der US-Militärbasis Baumholder.
Im Berliner Sportpalast sitzt der Klarinettist Rolf Kühn im Publikum, um jenen Mann zu erleben, der im Programmheft als der neue „König der Klarinette” angekündigt wird. „Ich wollte unbedingt Buddy DeFranco kennen lernen und wusste, wann er am Flughafen Tempelhof landen würde. Da ich kein Englisch sprechen konnte, nahm ich eine Bekannte mit. Ich bin mit ihr zum Flughafen gefahren und wir haben ihn angesprochen. Danach ist er zu mir in meinen alten VW eingestiegen und ich habe ihn ins Hotel gebracht. Nach der Show hatte ich ihn zum Essen ins Maison de France eingeladen. Da saßen wir bis zwei Uhr morgens und sind dann noch zu mir nach Hause gefahren, wo ich ihm meine Sachen vorgespielt habe, die er gerne hören wollte. Er hat mir dazu geraten, nach Amerika zu kommen, das war der Auslöser.” (aus: Maxi Sickert „Clarinet Bird. Rolf Kühn – Jazzgespräche”, S. 46) 1956 wandert er in die USA aus und übernimmt wenig später DeFrancos Platz in der Tommy Dorsey Ghost Band. Kühn wohnt in New Yorks 87. Strasse West in einem „musikalischen Haus”: er in der dritten Etage, in der Parterre-Wohnung Billie Holiday, im zweiten Stock Dayton Herzog, Sohn des Komponisten Arthur Herzog Jr., der für sie und mit ihr zusammen Songs wie „God Bless The Child” und „Don’t Explain” schreibt. Der Klarinettist erlebt die Sängerin häufig betrunken und als Opfer körperlicher Gewalt.
Am Abend vor dem Gastspiel in der Kölner Messehalle treten Holiday & Co. in Düsseldorf auf. Als Feather zu Ohren kommt, dass die Pianistin Jutta Hipp in einem Club im unweiten Duisburg spielt, fahren er und einige seiner Musiker nach dem Konzert ins von Gigi Campi gegründete Boheme. Auch Lady Day schließt sich ihnen an, muss dafür aber über die Feuerwehrleiter aus dem Düsseldorfer Hotelzimmer fliehen, ihr für Schlägereien bekannter Ehemann hatte sie eingesperrt. Nach dem Boheme-Ausflug verprügelt er sie, sodass Holiday am nächsten Abend in Köln mit dunkler Sonnenbrille auf die Bühne geht. Zum Repertoire gehört auch das von ihr geschriebene „I Love My Man” (aka „Billie’s Blues”), im Text heißt es: „I’ve been your slave/ Ever since I’ve been your babe/But before I’ll be your dog/I’ll see you in your grave”. Und im Song “My Man”: “He isn’t true/He beats me, too/What can I do?/ Oh, my man, I love him so…”
Die Sängerin ist von einem desaströsen Leben gezeichnet und schafft es dennoch (oder gerade deswegen…?) die Menschen zu bewegen. Ãœber die damals 38-Jährige („mit dem Gesicht einer 50-Jährigen”, wie der Kritiker Werner Burkhardt sie wenige Tage zuvor in der Hamburger Ernst-Merck-Halle erlebt) können die Besucher des Konzerts im Programmheft lesen: „Billie Holiday gestaltet selbst in banalen Songs Kunstwerke von einer Intensität, die sie zu einer der größten lebenden Künstlerinnen unserer Zeit machen.”

Text: Karsten Mützelfeldt