ECM – 40 Years

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ECM – 40 Years

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Vierzig Jahre Edition of Contemporary Music
1972 berichtete der Spiegel erstmals über das Label eines 29-jährigen Münchner „Einzelgängers“, für das sich immer mehr prominente US-Musiker interessierten: Weil dort, so das Nachrichtenmagazin, die „derzeit besten Jazz-Aufnahmen“ erschienen, „mustergültig in Klang, Präsenz und Pressung“. Zweieinhalb Jahre lag die Gründung der Firma ECM durch Manfred Eicher damals zurück. Der in Lindau geborene Musiker hatte in Berlin Kontrabass studiert. Nachdem er früh seine Liebe zu Musikern wie Bill Evans, Miles Davis, dessen Bassist Paul Chambers und Paul Bley entdeckt hatte, beschäftigte er sich auch intensiv mit Jazz. Als Produktionsassistent bei der Deutschen Grammophon hatte er höchste Maßstäbe bei der Aufnahme klassischer Musik kennen gelernt. Die dort übliche Präzision und Konzentration begann er nun auch auf die improvisierte Musik zu übertragen.

„Free at last“ lautete, durchaus programmatisch, der erste Titel des neuen Labels, ein Album mit Musik des Amerikaners Mal Waldron. Wegweisende Aufnahmen von Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chick Corea, Paul Bley, Egberto Gismonti, Pat Metheny und anderen begründeten die Reputation von ECM. Seit Ende der siebziger Jahre tauchten regelmäßig auch Namen wie Meredith Monk und Steve Reich im Programm auf, und 1984 entstand mit der New Series eine eigene Reihe für notierte Musik. Ihr Spektrum reicht von den um das Jahr 1200 in Paris entstandenen Organa Perotins bis zu den Komponisten der unmittelbaren Gegenwart.
Arvo Pärt und Giya Kancheli, Valentin Silvestrov und Tigran Mansurian wurden durch die ECM New Series im Westen eingeführt; seit Jahren veröffentlichen György Kurtág und Heinz Holliger wesentliche Teile ihres Œuvres bei dem Münchner Label. Interpreten wie das Hilliard Ensemble, Kim Kashkashian, Gidon Kremer und András Schiff legen exemplarische Interpretationen der Klassiker vor und sorgen regelmäßig für aufregende Repertoire-Neuentdeckungen. Genre- und kulturübergreifende Projekte bilden einen Katalogschwerpunkt beider Reihen – von den Aufnahmen des „Codona“-Trios um 1980 über „Officium“, das Zusammentreffen zwischen Jan Garbarek und den Hilliards (1993), bis hin zu Jon Balkes im Frühjahr 2009 veröffentlichter Imagination altandalusischer Musik in seinem „Siwan“-Projekt. ECM gilt heute als „wichtigstes Markenzeichen der Welt für Jazz und zeitgenössische Musik“, wie der britische Independent einmal bemerkte.
Form und Beständigkeit der komponierten Musik haben Einzug in die Improvisation gehalten; andererseits wird in den inspirierten Interpretationen komponierter Werke immer wieder ein Moment von Risiko, Spontaneität und improvisatorischer Freiheit spürbar. Paul Griffiths, der britische Musikschriftsteller, bringt dies auf den Punkt: „ECM ist zu einem ganz eigenen Genre geworden, einem Genre mit unscharfen Rändern aber einer deutlich definierten Mitte. Angesiedelt an einem Ort, an dem Musik unabhängig von ihrer Herkunft geschätzt wird. In einer Zeit, in der noch keine endgültigen Festlegungen gelten, in der selbst eine Aufnahme – scheinbar Abschluss des kreativen Prozesses – ihren Wert darin erweist, dass sie eine Frage aufwirft, oder mehr als eine.“
Von Anfang an orientierte sich ECM am Modell literarischer Verlage. „Unsere Arbeit basiert auf dem Prinzip der Dauer“, hat Manfred Eicher kürzlich in einem Interview gesagt. Viele der Musiker, die Anfang der siebziger Jahre als Mittzwanziger ihre ersten Aufnahmen bei ECM vorlegten, sind dem Label bis heute verbunden. Ihre individuelle Entwicklung spiegelt die des Gesamtkatalogs ebenso wider wie das Label sich aus einer Fülle langfristiger künstlerischer Prozesse speist. Schon deshalb sollen die Aufnahmen grundsätzlich immer verfügbar bleiben; der Hörer soll stets alle Titel eines Autors erhalten können. „Wichtig ist auch, dass sich Beziehungen zwischen den Künstlern des Verlages entwickeln, denn das kommt ihrem Schaffen zugute“, sagt Eicher. Als Recording Producer versteht er sich als Partner der Künstler, der von der Auswahl der Aufnahme-Orte, über die musikalische Gestaltung des Albums bis hin zum Cover-Design federführend an allen Arbeitsprozessen beteiligt ist. À propos Cover: Die ECM-Plattenhüllen, viel bewundert und viel kopiert, haben Design-Geschichte geschrieben. Im Herbst dieses Jahres erscheint beim Schweizer Lars Müller Verlag ein opulenter Band über die Cover Art des Labels.
Oft wird ECM mit einem klaren und obertonreichen Aufnahmeklang identifiziert. Dennoch gilt, dass ein pauschaler „ECM-Sound“ so nicht existiert. Die Aufnahme richtet sich nach dem Aufzunehmenden, nicht umgekehrt. „Natürlich wenden wir auch technisch alle erdenkliche Sorgfalt auf“, sagt Manfred Eicher. „Das Entscheidende aber ist die Musik selbst sowie die ästhetische Vorstellung, die mit ihr verbunden ist. Daraus ergeben sich jeweils die Charakteristika des Klangs. Das Gefäß richtet sich immer nach dem Inhalt.“ Wie vielfältig diese Inhalte sind, machen die Veröffentlichungen des Jahres 2009 deutlich: Neben Arvo Pärts neuesten Werken auf „In Principio“ stehen Ambrose Fields elektronische Annäherungen an Guillaume Dufay, neben Jan Garbareks erstem Live-Album unter eigenem Namen steht das Debüt des aufregenden New Yorker Trios „Fly“ – um nur einen winzigen Ausschnitt des Spektrums zu nennen. Das Label hat übrigens nie über ein eigenes Tonstudio verfügt. Für jede Produktion wird ein akustisch wie atmosphärisch geeigneter Raum ausgewählt – sei es in Oslo, New York, Lugano oder Udine, sei es das funktionale Zürcher Radiostudio oder die Kapelle der idyllischen Propstei St. Gerold im österreichischen Vorarlberg.
Mehr als 1000 Alben liegen inzwischen vor, darunter Millionenerfolge wie Keith Jarretts „Köln Concert“, Pat Methenys „Offramp“ und „Return to Forever“ oder das erwähnte „Officium“. Vierzig Jahre unter unveränderter Leitung, hat sich ECM seine wirtschaftliche wie künstlerische Unabhängigkeit stets bewahrt. Die Firma im Münchner Westen mit kaum mehr als einem Dutzend Mitarbeiter stützt sich auf einen gut eingespielten internationalen Vertrieb, der in den Hauptmärkten von Großkonzernen, in den wichtigen anderen Ländern aber von kleinen, unabhängigen Firmen vertreten wird. Noch immer wächst die jährliche Produktion bei ECM auch quantitativ – und das in einer Zeit, da die Plattenindustrie sich offiziell in ihrer tiefsten Strukturkrise seit langem befindet. Manfred Eicher sieht sie distanziert: „Seit vierzig Jahren haben wir es jede Dekade wieder mit einer vermeintlichen ‚großen Krise’ zu tun. Die Ölkrise der frühen siebziger Jahre schien den Tod der Vinyl-Platten anzukündigen; heute droht das Ende des materiellen Tonträgers. Entscheidend ist, dass wir die besten Künstler unserer Zeit unter optimalen Bedingungen aufnehmen, ernsthaft und integer. Für die ökonomischen Probleme wird es immer eine Lösung geben. Kunst und Musik sind und bleiben ein elementares Bedürfnis der Gesellschaft!“

Veröffentlichungen:

Jan Garbarek Group – Dresden – 2CD 270 9572 – Erhältlich ab: 04.09.09
Lang erwartet und eine Premiere obendrein. Sechs Jahre nach Garbareks letztem Leader-Album („In Praise of Dreams“) kommt die allererste Live-Aufnahme der immens populären Garbarek Group, der Mitschnitt eines ekstatischen Konzerts vom Oktober 2007. Die Band, nach dem Ausscheiden Eberhard Webers nun mit dem Brasilianer Yuri Daniel am Bass, setzt altes und neues Repertoire unter Strom. Garbarek selbst ist in bestechender Form, wobei er in Manu Katchés kraftvoll pulsierendem Schlagzeug einen stimulierenden Widerpart findet. Zu hören sind Hits wie „12 Moons“, „There were Swallows“, „Voy Cantando“, eine glühende Version von „Paper Nut“ und vieles mehr. Das Album erscheint zur großen Herbsttour der Garbarek Group.

Keith Jarrett – Testament – 3 CD 270 9583 – Erhältlich ab: 02.10.09
Keith Jarretts Soloabend in der Berliner Philharmonie am 12. Oktober dieses Jahres, der erste überhaupt im berühmtesten Konzertsaal Deutschlands, war in wenigen Tagen ausverkauft. Parallel dazu erscheinen zwei herausragende Dokumente vom Herbst vergangenen Jahres, aufgenommen in der Pariser Salle Pleyel und in der Royal Festival Hall in London. Wie schon im Fall von „Radiance“ und dem „Carnegie Hall Concert“ improvisiert Jarrett in kleineren Formen; das stilistische Spektrum reicht von Blues- und Boogey-Reminiszenzen über Anklänge an die Klaviermusik der klassischen Moderne bis hin zu spontan extemporierten Balladen. „That old Jarrett magic forges majestically on“, kommentierte der Guardian nach dem Londoner Auftritt.

Anouar Brahem Quartet – The Astounding Eyes of Rita – 179 8628 – Erhältlich ab: 25.09.09
Drei innerhalb kurzer Zeit entstandene Fragmente waren es, die den Keim bildeten für Anouar Brahems neues Programm. Rhythmisch lebendige, eng verzahnte Dialoge in der Mittellage herrschen vor im neuen Quartett, das Brahem gemeinsam mit Manfred Eicher zusammengestellt hat: Der deutsche Bläser Klaus Gesing, ein Improvisator mit enorm beweglicher Phrasierung, scheint eine natürliche Affinität zur Klangwelt des Tunesiers mitzubringen. Das Timbre von Björn Meyers Bass mischt sich mühelos mit dem Oud und legt ein agiles Fundament. Der junge Libanese Khaled Yassine schließlich sorgt für den vitalen Puls einer Musik, in der Überliefertes und Gegenwärtiges, Strenge und Freiheit einander stets bedingen.

Stefano Bollani Trio – Stone In the Water – 179 4161 – Erhältlich ab: 11.09.09
„Stone in the Water“ stellt erstmals das dänische Trio des brillanten italienischen Pianisten vor – bei ECM war er zuletzt auf Enrico Ravas „New York Days“ vertreten – eine Gruppe, die in sechsjähriger Zusammenarbeit ein erstaunliches improvisatorisches Verständnis untereinander entwickelt hat. Noch länger, bereits 15 Jahre, musizieren Bassist Jesper Bodilsen und Drummer Morten Lund gemeinsam. Mit größter Sensibilität bewegen sich die drei Musiker durch ein ausgesprochen originelles Programm, das neue Stücke von Bollani und Bodilsen enthält, dazu Balladen von Caetano Veloso und Antonio Carlos Jobim sowie Poulencs „Improvisation en la mineur“ – womit sich dem altehrwürdigen Piano Trio eine Fülle frischer Farben und Tonfälle erschließt.

Tomasz Stanko Quintet – Dark Eyes – 271 1266 – Erhältlich ab: 09.10.09
Stankos slawisch glühende Seelenmusik und sein wunderbar körniger Trompetenton im neuen Kontext: Ähnlich wie sein Vorbild Miles Davis verfügt der experimentierfreudige polnische Jazz-Meister über langjährige Erfahrung und ein ausgeprägtes Talent als Scout und Mentor hoch talentierter Nachwuchskollegen. Zusammen mit zwei Finnen und zwei Dänen, allesamt Musiker von größter Fantasie und Sensibilität, spielt er neue Eigenkompositionen von beinahe klassischem Zuschnitt, darunter das von einem Kokoschka-Gemälde inspirierte Stück „The Dark Eyes of Martha Hirsch“ sowie eine neue Version des „Last Song“ von seinem ECM-Debüt „Balladyna“. Zwei Nummern huldigen überdies Stankos großem Landsmann Krzysztof Komeda.

András Schiff – Bach: Sechs Partiten BWV 825-830 – 2CD 476 6991 – Erhältlich ab: 28.08.09
Nach seinem viel gelobten Beethoven-Zyklus kehrt András Schiff zu Bach zurück: Bei einer Matinée im Neumarkter Reitstadl nahm er 2007 die großartigen sechs Partiten auf, die Bach selbst 1731 als allererstes seiner Werke publizierte, weil er eine einzigartige Synthese der traditionsreichen Suitenform in ihnen verwirklicht sah. Verglichen mit seiner Londoner Studioaufnahme von 1983 demonstriert die neue Version Schiffs interpretatorische Entwicklung hin zu mehr Freiheit, Klangreichtum und der schieren Lust an der Phrasierung. Eingeflossen sind auch die Erfahrungen des Pianisten als Dirigent der großen Bachschen Chorwerke.

Kim Kashkashian – Neharót – 476 3281 – Erhältlich ab: 28.08.09
Zwei Jahre nach ihrem wunderbaren Album spanischer und argentinischer Lieder („Asturiana“) geht die Bratschistin den faszinierenden Querverbindungen zwischen drei zeitgenössischen Komponisten aus Israel und Armenien nach. Die berührenden Stücke von Betty Olivero, Tigran Mansurian und Eitan Steinberg, die sich auf Klagegesänge des Nahen Ostens, armenische Weisen und chassidische Melodien beziehen, stellen wiederum den vokalen Ausdruck in den Mittelpunkt. „Was wir in dieser Musik hören, weckt Resonanzen jenseits unserer bewussten Erfahrung“, schreibt Paul Griffiths in seinem Booklettext. „Indem sie diese Lieder in einem männliche und weibliche Komponenten verbindenden Hybridregister anstimmt, singt Kim Kashkashians Bratsche für uns alle.“

Thomas Zehetmair – Paganini: 24 Capricen für Solo-Violine– 476 3318 – Erhältlich ab: 28.08.09
Warum noch einmal die „Capricen“? Galt nicht schon die erste Version aus den frühen neunziger Jahren als Referenz? „Weil es sie gibt!“, könnte Thomas Zehetmair auf alte Alpinistenart antworten. Er hat viel dirigiert in den letzten Jahren, er hat großartige Quartett-Aufnahmen vorgelegt, und als Solist hat er Mozart mit ebenso feinem Stilempfinden interpretiert wie Eugène Ysaÿe oder das Violinkonzert von Heinz Holliger. Doch für die größte Herausforderung an den Geiger schlechthin hält Zehetmair nach wie vor Paganinis 24 Capricen: „Diese Stücke sind keine Etüden und keine emotionslose Pyrotechnik, sie sind improvisierte Charakterstücke voller Poesie und Fantasie.“

Rolf Lislevand Ensemble – Diminuito – 4763317 – Erhältlich ab: 25.09.09
Auf seinem zweiten ECM-Album „Diminuito“ widmet sich der norwegische Meisterlautenist Madrigalen, Chansons und virtuoser Lautenmusik aus dem 16. Jahrhundert. Sie offenbaren die unmittelbar zu uns sprechende Modernität von Komponisten wie Giovanni Antonio Terzi oder Joan Ambrosio Dalza. Die meisten Stücke stammen aus dem Veneto, wo seinerzeit Einflüsse orientalisch-levantinischer Musik wirksam wurden. Der Albumtitel bezieht sich auf die Praxis der virtuosen Verzierung vokaler Linien, der „Verkleinerung“ rhythmischer und harmonischer Einheiten in rasenden Läufen, Arpeggien und Arabesken. Gastauftritte haben die hellen Soprane von Anna Maria Friman und Linn Andrea Fuglseth aus dem Trio Mediaeval.

Valentin Silvestrov – Sacred Works – 476 3316 – Erhältlich ab: 16.10.2009
Geistliche A-cappella-Werke von Valentin Silvestrov – ein Novum im Schaffen des Ukrainers. „Als Individualist”, so der Komponist, „hatte ich eigentlich nie daran gedacht, Chorwerke zu schreiben.” Der Dirigent Mykola Hobdytsch ermunterte ihn dazu, sich intensiver mit den Möglichkeiten des mehrstimmigen Gesangs und alten russischen Litaneien zu beschäftigen. Die Aufspaltung des Chores in kleinere Gruppen nutzt Silvestrov für einzigartige klangliche und harmonische Pianissimo-Effekte. Gelegentlich werden Assoziationen an die „Stillen Lieder”, die Stücke für Soloklavier und das „Requiem für Larissa“ wach. Die herausragenden Interpretationen entstanden 2006 und 2007 in Kiew.