Dominic Miller – November

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Dominic Miller – November

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NOVEMBER_Covershot Da werden die Fans der ersten Stunde aber nicht schlecht staunen! Wurde Dominic Miller bis dato vor allem wegen exquisiter Akustikklänge an der Nylongitarre bewundert und gefeiert, so überrascht er Publikum wie Fachleute nun mit dem ersten elektrifizierten Album seiner Sololaufbahn. Auf der jüngsten Veröffentlichung “November” nimmt die E-Gitarre breiten Raum ein, Miller zeigt sich in einigen Stücken von seiner rockigen Seite und verblüfft mitunter mit einem ziemlich druckvollen Sound. Man höre sich etwa den wuchtigen Slammer “Ripped Nylon” – nomen est omen – oder das Fuzz-gesättigte “W3” an!

Der Sinneswandel kommt nicht von ungefähr. Im Herbst 2008 hatte der Wahllondoner in einer ruhigen Stunde die bisherigen CD-Einspielungen unter seinem Namen gesichtet und war zu dem Schluss gekommen, dass das meiste davon mehr Wert auf einen verdichteten Sound als auf verdichtete Kompositionen legt. Lediglich bei einem seiner Solowerke war das anders: beim Debüt “First Touch”. “Dieses Album repräsentierte all die Einflüsse, die ich bis 1995 absorbiert hatte”, erinnert sich Miller, “damals war ich 35 Jahre alt. An dem Album hatte ich gearbeitet, nachdem ich von der ‘Ten Summoner’s Tale’-Tour mit Sting zurückgekehrt war. Es war eine Art musikalische Autobiographie. Jetzt wollte ich den Zustand wieder erschaffen, in dem ich mich glücklicherweise bei der Produktion von ‘First Touch’ befunden hatte. Am stärksten erinnere ich mich an das Gefühl des Freiseins. Es fühlte sich an, als würde sich das Album von selbst komponieren, als würde es mir diktiert werden. In anderen Worten, ich ließ mich einfach mit dem Strom treiben. Ich möchte nicht so weit gehen, es ein ‘Geschenk Gottes’ zu nennen, aber genauso empfand ich es zum damaligen Zeitpunkt.”
“November” nun betrachtet Dominic Miller als eine “überarbeitete Autobiographie, die weit über ‘First Touch’ hinausgeht”. Für diese “vertonten Memoiren” hat er noch mal ganz neu angefangen, als hätte er nie zuvor im Studio gestanden: “Ich hab klar Schiff gemacht, bin zum Punkt Null zurückgegangen und habe die bisherigen Soloalben hinter mir gelassen.” Im Vorfeld der Produktion nahm sich der Saitenspezialist ausreichend Zeit, seine musikalische Richtung zu hinterfragen, alles kam auf den Prüfstand und am Ende stand fest: Die Zeit war reif für eine Kurskorrektur. Die vollzog Miller schließlich mit einer Bandbesetzung ohne Sänger. Das Instrumentalformat barg freilich die Gefahr, “wie eine zweitklassige Fusion- oder Jazzrock-Band zu klingen. Gott behüte! Ich will keine Namen nennen, aber ich kriege regelmäßig solche CDs von ziemlich bekannten Instrumentalisten. Nach einmal hören benutze ich die nur noch, um in den Wintermonaten das Eis von der Windschutzscheibe meines Peugeot 206 zu kratzen. Bei den meisten dieser CDs geht es nur um’s Spielen, nicht um die Kompositionen. Die Musiker darauf sind wie großartige Schauspieler, denen leider nur ein mittelmäßiges Drehbuch zur Verfügung steht. Ich hingegen habe beschlossen, dass bei mir die Kompositionen den Vorrang haben sollen.”
Um dieses Ziel zu erreichen, instruierte Miller alle mitwirkenden Kollegen: “Bringt nichts von eurer Persönlichkeit ein, lasst die Kompositionen für sich selbst sprechen!” Es war nicht leicht Musiker zu finden, die genau das leisten konnten und wollten. In Drummer Ian Thomas (Eric Clapton, Seal, Paul McCartney, Tom Jones), Bassmann Mark King (Level 42; amtierender Meister des daumenschnalzenden Slapbass …) und Keyboarder Mike Lindup (ebenfalls bekannt von Level 42) fanden sich schließlich Sessionpartner, die bereit waren, ihr Ego hinten anzustellen. Zu diesem Stamm gesellten sich mit dem in Frankreich lebenden Israeli Yaron Herman am Klavier, Keyboarder Jason Rebello (Sting), Flötist Dave Heath (anerkannter Komponist von Flöten-, Geigen- und Oboenkonzerten) und Saxophonist Stan Sulzmann (Kenny Wheeler, Michael Brecker, NDR Big Band) versierte Topprofis, die ihre ausgeprägten Musikerpersönlichkeiten ebenfalls zurücknahmen und ihr Können ganz in den Dienst von Millers Kompositionen stellten.
Mithilfe all dieser “selbstlosen” Sidemen entstand ein Instrumentalalbum, das mit allerlei unerwarteten Wendungen, Stilsprüngen und so noch nicht gehörten Klangkombinationen aufwartet. Rockiges (“W3”, “Ripped Nylon”), New-Age-Meditationen (“Still”), Softpop-Sounds (“Solent”), Klangmalereien (“Gut Feeling”), Funkyness (“Sharp Object”), Klassikanklänge (“Chanson II”) und Jazzmomente (“Marignane”) wurden zur ganz und gar eigenwilligen contemporary instrumental music verknüpft. Produziert haben Dominic Miller und Hugh Padgham, die seit Phil Collins’ Millionseller “But Seriously” (1989) quasi unzertrennlich sind. In den vergangenen zwanzig Jahren haben die beiden bei vielen Projekten kooperiert, mittlerweile verstehen sie sich blind. “Er wusste genau was ich wollte”, schwärmt Miller über Padgham, “also war er die erste Wahl als Produzent. Hugh kann einen ‘killer sound’ herauskitzeln.”
“November” ist – bezogen auf die Entstehungsdauer – das “schnellste” Album in Dominic Millers Solokarriere, kein Vorgängerwerk hat weniger Zeit benötigt. Nach lediglich drei Wochen waren sämtliche Kompositionen auf dem Notenblatt, die Studioaufnahmen und der Endmix nahmen gar nur vierzehn Tage in Anspruch. Neunzig Prozent der gehörten Performances sind first takes. “Ich wollte weg von der Pro-Tools-Perfektion, mit der man wirklich alles und jedes manipulieren kann”, begründet Miller die flotte Arbeitsmethode und die Entscheidung für mehr Spontaneität im Studio. “Das hatte einige Unvollkommenheiten in Sachen Timing, Stimmung und Artikulation zur Folge. Im Normalfall hätte ich die nachträglich behoben, aber diesmal beließ ich alles wie es war.”
Mit “November” fügt Dominic Miller seiner eindrucksvollen Künstlerbiographie einen weiteren Höhepunkt hinzu. Der in Buenos Aires geborene Sohn eines Amerikaners und einer Irin studierte Gitarre an Bostons renommiertem Berklee College und an Londons Guildhall School Of Music, gab mehrere Soloalben heraus (“First Touch”, “Second Nature”, “Third World”, “Fourth Wall”) und ist seit den späten 1980ern zudem ein gefragter Sessionmusiker. Die Liste seiner Engagements sprengt jeden Rahmen, stellvertretend seien nur die Kollaborationen mit The Chieftains (“Long Black Veil”), Eddi Reader (“Mirmama”), Manu Dibango (“Wakafrika”), Paul Young, Bryan Adams, Luciano Pavarotti, Peter Gabriel, Pat Metheny, Tina Turner (“Wildest Dreams”), The Pretenders, Boyzone und den Backstreet Boys genannt. Seit “The Soul Cages” aus dem Jahre 1991 war Miller des Weiteren an jedem Album von Sting beteiligt, er stand in über eintausend Konzerten mit dem ehemaligen “Polizisten” auf der Bühne und erdachte mit ihm Hitsongs wie “Shape Of My Heart”.
Auf “November” nun präsentiert er sich einmal mehr als Gitarrist absoluter Spitzengüte. Der Ausnahmeinstrumentalist spielt mit einer Leichtigkeit und traumwandlerischen Sicherheit, die jedem Beschreibungsversuch spottet. Was ihn über das Virtuosentum vieler Kollegen hinaushebt, ist die Fähigkeit, über seinen Fähigkeiten zu stehen. Die spieltechnische Gewandtheit, das Brillieren mit seiner fingerfertigen Perfektion hat er längst hinter sich gelassen. Dominic Miller geht es heute nur noch um Ausdruck, um Klangschönheit und die Wahrheit des Augenblicks. Diese Transzendenz der Dinge bleibt freilich den ganz Großen vorbehalten.
VÖ: 05.03.2010