Dimitri Grechi Espinosa – Angels’s Blow

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Dimitri Grechi Espinosa – Angels’s Blow

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DimitriGrechiEspinosa_AngelsBlow (Ponderosa, VÖ: 25.09.2015)

Der Battistero di San Giovanni in Pisa ist die größte Taufkirche in der Geschichte des Christentums, mit seinem Umfang von 107 Metern und einer Höhe von 54 Metern überragt er alle anderen Baptisterien. Und auch der kreisrunde Grundriss hebt das 1152 begonnene, frei neben dem Dom Santa Maria Assunta stehende Gebäude von anderen Baptisterien (in der Regel achteckig angelegt) deutlich ab. Der Rundbau, in dem sich der Schall ungehindert ausbreiten kann, ist seit langem bekannt für seinen besonders langen Nachhall. Gelegentlich stimmt jemand vom Aufsichtspersonal in der großen Innenkuppel sukzessive verschiedene Gesangstöne an, die sich dann, schier endlos verhallt, zu voluminösen Akkorden überlagern: ein einzigartiges Klangerlebnis für alle Besucher des historischen Kirchenbaus!

Als Dimitri Grechi Espinosa die Gelegenheit erhielt, dort ein Album aufzunehmen, ließ er sich nicht zweimal bitten. Die spezielle Architektur und damit einhergehende Akustik inspirierten ihn zu ungewöhnlichen Stücken zwischen Jazz und Kirchenmusik. Im März 2014 spielte er in dem berühmten Baptisterium in der Toskana (übrigens Teil des UNESCO-Weltkulturerbes) acht Titel für Solosaxophon ein. Mutterseelenallein, ganz auf sich selbst zurückgeworfen zieht er darin seine Klangbahnen, stellt minimalistische Tonfolgen in den kathedralenartigen Hallraum, die sich, sekundenlang nachklingend, zu mehrstimmigen Strukturen verdichten.

Espinosa nimmt sich viel Zeit, er lässt den Atem frei fließen, entwickelt am Saxophon in aller Ruhe seine musikalischen Gedankengänge. Bei der Aneinanderreihung stenographisch kurzer Tonmotive ist schwer auszumachen, was Komposition, was Improvisation ist, denn die Ãœbergänge sind fließend. Und gerade mit diesem stetig im Fluss befindlichen Sound erzielt der Künstler aus Italien eine besänftigende Wirkung beim Zuhörer. Das ist Hörbalsam für stressgeplagte Ohren, bleibt dabei aber nicht stehen. Espinosa produziert nicht einfach Relaxmusik, nein, sein Album “Angel’s Blows” geht tiefer, dringt in spirituelle Schichten vor und legt das frei, wofür in der Hektik des Alltags selten Zeit bleibt. Das ist Sakraljazz zur Selbstbesinnung.

Schon nach wenigen Sekunden des Innehaltens taucht man tief in die Sphärenklänge von Tracks wie “La Nube”, “La Sue Maestà” und “L’Altissimo” ein, fühlt sich in ihnen geborgen und aufgehoben, wird eins mit der meditativen Musik. Nach und nach verschwimmen die Grenzen zwischen Innen und Außen, Ich und Welt. Das mag hochtrabend klingen und entspricht doch recht genau dem Seinszustand, den Espinosa für sich und sein Publikum erreichen möchte. Er selbst bezeichnet die Stücke auf “Angel’s Blows” als “vertonte Gebete” und betrachtet sie als “die Frucht eines langjährigen Studiums der Beziehung zwischen Klang und Raum und deren spiritueller Bedeutung”.

Der spirituelle Aspekt von Musik beschäftigt den 1965 in Moskau geborenen Künstler schon seit rund fünfzehn Jahren, davor durchlief er freilich erst einmal die üblichen Stationen einer Jazzerkarriere. Zunächst schaffte sich Espinosa das spieltechnische Rüstzeug am Saxophon drauf, danach verfeinerte er sein Können unter anderem in Seminaren an der Accademia Nazionale del Jazz in Siena sowie in Meisterkursen an New Yorks Musikinstitution Jazz Mobile. 1998 gründete er in Italien die Experimentalgruppe Dinamitri Jazz Folklore, mit der er seither regelmäßig alte Kulturtraditionen erkundet und zeitgemäß fortführt. Seine Offenheit für fremde Kulturen mündete außerdem in Gastspielen beim panafrikanischen Fespam-Festival in Brazzaville (Hauptstadt der Republik Kongo), dem Festival au Désert in Mali und dem Festival Taragalte in der marokkanischen Oasenstadt M’Hamid El Ghizlane.

Von Goma Parfait Ludovic, Leiter der Formation Yela Wa, ließ sich Espinosa zwischen 2002 und 2003 in die Geheimnisse kongolesischer Heilungsmusik einweihen. Seit 2004 gibt er unter dem selbstgewählten Etikett “Oreb” Solokonzerte am Saxophon. Oreb ist abgeleitet von der hebräischen Bezeichnung für den Berg Horeb, der im Allgemeinen mit dem Berg Sinai gleichgesetzt wird. Auf dem sagenumwobenen “Gottesberg” erhielt Moses von Gott die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, der Prophet Elijas floh vor der rachsüchtigen Königin Isebel dorthin und hatte eine Gottesoffenbarung in Form einer leisen, kaum wahrnehmbaren Stimme, die quasi aus ihm selbst heraus zu ihm sprach.

Diese Erfahrung der “inneren Stimme” (die Einen nennen sie Gott, die Anderen spirituelles Einssein mit dem Universum) will Dimitri Grechi Espinosa auf seinem Album “Angel’s Blows” vermitteln. Wie er in den Liner Notes ausführt, sieht er seine Aufgabe als Künstler darin, die Musik zu ihrer ursprünglichen Funktion eines “Dialogs mit dem Heiligen” zurückzuführen. Ihm geht es um “das Bewusstsein von sich selbst und anderen in der Gegenwart jener Einheit, die die kosmische Ordnung zusammenhält”.