(Tuk Music, VÖ: 03.02.2017)

Drei Kennzeichen unterscheiden den Jazz von allen anderen Musikarten. Da ist zunächst einmal der hohe Stellenwert der Improvisation: Das Stegreif-Spiel, das Ad-hoc-Erfinden neuer Musikmotive gilt sozusagen als Königsdisziplin im Jazz. Als Zweites wäre das ganz spezielle Rhythmusgefühl “aus dem Bauch heraus” zu nennen, das man häufig auch als “Swing” oder “Groove” bezeichnet und das mit den Mitteln der gängigen Musiknotation allenfalls annähernd dargestellt werden kann. Ebenfalls charakteristisch ist zu guter Letzt die Interaktion der Sänger und/oder Instrumentalisten. Lediglich im Jazz reagieren Musiker so direkt aufeinander, nur dort führen sie die kurz zuvor erdachte Phrase eines Kollegen blitzschnell mit einem eigenen Spontaneinfall fort. Das Ergebnis ist deshalb auch niemals vorauszusagen

“Two Minuettos (Live in Milano)” liefert hervorragende Klangbeispiele für alle drei Kennzeichen des Jazz, es ist jedoch insbesondere die Interaktion von Paolo Fresu und Uri Caine, die dieses Album des Labels Tuk Music zu einem fesselnden Hörereignis macht. Mal antwortet der eine dem anderen in einträchtiger Harmonie, mal kommt es zwischen den beiden zu spannenden Reibungen, zu farbigen Kontrasten. Wie der italienische Trompeter (auch am Flügelhorn und dezent eingesetzten Elektronik-Effektgeräten zugange) und der US-amerikanische Pianist hier vor Live-Publikum kommunizieren, wie sie einander die Spielbälle zuwerfen und im Dialog den musikalischen Faden fortspinnen, das sucht seinesgleichen.

In ihrem Zwiegespräch ohne Netz und doppelten Boden übersetzen die zwei Fremdtitel aus dem Barock und der Spätromantik, aus den Sparten Old-School-Swing, Songwriter-Folk und Pop in die Jazzsprache der Gegenwart. So greifen Fresu und Caine beispielsweise in “I Loves You, Porgy” die Liebestrunkenheit des Sangesduetts aus George Gershwins Jazzoper “Porgy and Bess” geschickt auf und überführen sie an der gestopften Trompete und einem Konzertflügel in eine ungemein zarte, ganz zeitgemäße Instrumentalballade. Ähnlich verfahren sie mit dem Songklassiker “Nature Boy”, den Nat King Cole 1948 als Erster aufgenommen hat. Die Neufassung hier pendelt zwischen träumerisch-lyrischen und mächtig ausgreifenden Passagen. Ein echtes Bravourstück ist Uri Caine mit seiner Umsetzung von Joni Mitchells “All I Want” gelungen. Solo am Piano macht er sich den Folksong aus Mitchells viertem Soloalbum “Blue” völlig zu eigen. Während seine linke Hand kraftvolle Bassläufe hinstampft, schüttelt die rechte fette Akkorde auf die schwarzen und weißen Tasten. Ein Parforceritt!

Für den Konzertmitschnitt in Mailand nahm das Duo auch mehrere Titel aus Paolo Fresus Heimat ins Programm auf. “Almeno tu nell’universo” stellte dessen Landsmännin Mia Martini 1989 zunächst live im Musikwettbewerb “Festival della Canzone Italiana” in Sanremo vor, kurz danach hatte sie damit einen Singlehit. Fresu und Caine tupfen die sehnsuchtsvolle Melodie des mediterranen Popschlagers in ihrer Bühnenfassung aquarellartig-sanft hin. Genauso einfühlsam gehen sie bei der Umsetzung von “Caruso” aus der Feder des 2012 verstorbenen Cantautore Lucio Dalla vor. Dessen Hommage an den legendären Tenor Enrico Caruso erfährt eine zauberhaft poetische Umsetzung. Neuentdeckungen dürften für die meisten Zuhörer zwei in unseren Breitengraden selten aufgeführte Stücke der Barockkomponistin Barbara Strozzi (1619 – 1677) sein. Bei deren “La Travagliata” und “Sino alla morte mi protesto” halten sich Fresu und Caine an den Basso continuo der beiden Vorlagen und improvisieren darüber nach Herzenslust.

Eingerahmt wird das vorgenannte Repertoire von zwei Menuetten aus Johann Sebastian Bachs “Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach”, deshalb natürlich auch der Albumtitel “Two Minuettos”. Beim “Menuett in g-Moll” (BWV Anh. 115) bleiben Fresu und Caine über weite Strecken in der Nähe der Kontrapunktik des Originals, zwischendurch entschwinden sie jedoch mehrmals in eine frei improvisierte, stark verhallte Sphärenfantasie. Das “Menuett in G-Dur” (BWV Anh. 114) schließlich lässt das herrliche Livealbum heiter und beswingt ausklingen..

Die erste Begegnung von Paolo Fresu (*1961) und Uri Caine (*1956) fand 2002 beim Festival “Time in Jazz” in Berchidda auf Sardinien statt. In mehreren Jamsessions verstanden sich die beiden damals so prächtig, dass sie beschlossen, in Zukunft häufiger gemeinsame Sache zu machen. 2006 veröffentlichten sie ihr Duo-Debüt “Things”, 2009 folgte “Think” auf Blue Note. Darüber hinaus traten die beiden regelmäßig miteinander auf und erspielten sich schnell den Ruf, eines der aufregendsten Zweiergespanne im Jazz von heute zu sein.

Vor ein paar Jahren wurden die beiden zum “Umbria Jazz Winter” nach Orvieto in der Region Umbrien eingeladen. Zwischen Weihnachten und Neujahr spielten sie dort an vier Abenden hintereinander, und an jedem Abend stand ein anderer Musikstil im Mittelpunkt. Fürs erste Konzert nahmen sich die Jazzer Werke der Barockmusik zum Ausgangspunkt, das zweite war dem Jazzerbe des 20. Jahrhunderts gewidmet, das dritte befasste sich mit Pop und Rock, und das abschließende vierte war Eigenkompositionen vorbehalten. Das Konzept aus Orvieto, an aufeinander folgenden Tagen Stücke aus diversen Musikstilen zu verjazzen, griffen Fresu und Caine zwischen dem 27. Februar und 1. März 2015 dann auch bei ihren Auftritten im Teatro dell’Elfo in Mailand auf. “Two Minuettos (Live in Milano)” versammelt und verdichtet nun die Highlights der kleinen Konzertreihe.

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