Enrico Pieranunzi – Live At The Village Vanguard

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Enrico Pieranunzi – Live At The Village Vanguard

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cover pieranunzi
(Cam Jazz, VÖ: 17.05.2013)
“If I can make it there, I’ll make it anywhere”, sang Frank Sinatra einst über New York, und dasselbe lässt sich mit Fug und Recht über den wohl berühmtesten Jazzclub der Stadt, das Village Vanguard, sagen. Wer für einen Auftritt in dem sagen-umwobenen Kellerlokal in der 7th Avenue im Greenwich Village engagiert wird, der hat es in der Welt des Jazz wahr-haftig geschafft! Legionen von Musikern träumten seit der Gründung im Jahr 1935 davon, einmal im Leben dort gastieren zu dürfen. Und wenn es dann endlich so weit war, erlebten sie auf der Bühne und das fach-kundige Publikum davor nicht selten eine Sternstunde des Jazz. Die Besten der Besten spielten in dem dreieckigen Raum im Untergeschoß historische Livealben ein, man denke nur an die Meilensteine von Sonny Rollins, John Coltrane, Bill Evans, Art Pepper, Wynton Marsalis und Jason Moran.

In den Liner Notes zum vorliegenden Album erinnert sich Enrico Pieranunzi daran, wie auch er als Junge LP-Hüllen von Konzertaufnahmen aus dem Village Vanguard in Händen hielt und sich vorstellte, später einmal selbst dort aufzutreten. Als der Italiener dann im Juli 2010 tatsächlich an mehreren Tagen hintereinander auf dem Klavierschemel im Village Vanguard saß und all die Fotos legendärer Jazzer an den Wänden um ihn herum betrachtete, konnte er sein Glück kaum fassen. Bei den damaligen Konzerten erstarrte er jedoch keineswegs vor Ehrfurcht vor den großen Namen, vielmehr ließ sich der Pianist mit Bassist Marc Johnson und Drummer Paul Motian an seiner Seite von der besonderen Aura der Spielstätte zu einer fantastischen Konzertdarbietung inspirieren. Das Village Vanguard ist nun mal aufgeladen mit Geschichte und Geschichten, und etwas von dem speziellen Geist des Ortes muss auf das italienisch-amerikanische Trio übergesprungen sein. Auf “Live At The Village Vanguard” spürt der Hörer in jeder Note, dass sich Pieranunzi, Johnson und Motian sehr gut kennen. Die drei haben zuvor in unterschiedlichen Konstellationen zusammengearbeitet und dabei eine enge Freundschaft entwickelt. Sie sind bestens aufeinander eingespielt, ihre fesselnde Interaktion in vier Kompositionen von Pieranunzi und vier Standards (“I Mean You” von Thelonious Monk, “My Funny Valentine” von Rodgers & Hart, “Subconscious Lee” von Lee Konitz und Filmmusik aus “La Dolce Vita” von Nino Rota) zeugt von einem tiefen Verständnis untereinander, das in diesem Fall übers rein Musikalische weit hinausgeht.

Pieranunzis Diskographie umfasst über siebzig Alben unter eigenem Namen, darunter Trioaufnahmen mit Charlie Haden/Paul Motian sowie Marc Johnson/Joey Baron. Außerdem hat der Italiener schon rund 300 Stücke komponiert, am bekanntesten sind wohl “Night Bird” (mehrfach von Chet Baker gecovert) und “Hindsight” (Phil Woods). Fachautor Nat Hentoff schwärmt: “[Pieranunzi] ist ein brillanter lyrischer Pianist mit stetig fließenden Ideen. Seiner Formgebung wohnt eine kraftvolle Logik inne.”

Bassmann Marc Johnson hat in seiner 35 Jahre andauernden Karriere mit allen Größen des Modernjazz zusammengearbeitet. Der Ehemann von Eliane Elias stand mit Stan Getz, Joe Lovano, Gary Burton, Bill Frisell, Pat Metheny, Jack DeJohnette uvm. im Studio bzw. auf der Bühne. Sein Debüt gab er übrigens 1978 im letzten Trio von Bill Evans, was hier insofern interessant ist, als Paul Motian ebenfalls mit dem legendären Pianisten kooperiert hat, bei ihm war es freilich Evans’ erstes Trio, als dessen Mitglied er 1956 am Debütwerk “New Jazz Conceptions” mitwirkte. Darüber hinaus machte Motian gemeinsame Sache mit Kollegen wie Lennie Tristano, Zoot Sims, Coleman Hawkins, Arlo Guthrie (auf dem Woodstock-Festival!), Paul und Carla Bley, Don Cherry und Keith Jarrett. Wie kein anderer emanzipierte er das Schlagzeug von der reinen Rhythmusrolle, statt nur als Taktgeber zu fungieren, entlockte er den Fellen und Becken reizvolle Klangfarben. Nicht zuletzt wegen dieser Neuerung zählt der Amerikaner zu den einflussreichsten Jazzern der letzten fünfzig Jahre. Im November 2011 starb Motian mit achtzig Jahren in Manhattan, “Live At The Village Vanguard” war eine der letzten Einspielungen, die er vor seinem Tod noch verwirklichen konnte.