China Moses – This one’s for Dinah

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China Moses – This one’s for Dinah

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(EMI, Blue Note; VÖ: 13.03.09) Man hätte nicht unbedingt damit rechnen können, dass China Moses und Raphaël Lemonnier dazu bestimmt sein würden, ein gemeinsames Projekt in Angriff zu nehmen. Zu unterschiedlich sind die Karrieren der beiden Künstler bisher verlaufen und es gab keinen triftigen Grund, warum sich die amerikanische Sängerin und der französische Pianist überhaupt begegnen sollten.

China Moses ist eine Sängerin, Autorin, Songwriterin und Produzentin, die ihre vielen Talente auch schon MTV als Moderatorin zur Verfügung stellte, die aber vor allem als Künstlerin den Prototyp einer amerikanischen Entertainerin verkörpert. Dieser Teil ihrer Persönlichkeit wurzelt eigentlich in ihrer Kindheit, in der sie sowohl mit der Welt der Musik als auch der des Theaters häufig in Berührung kam. Von ihrer Mutter, der Sängerin Dee Dee Bridgewater, erbte sie die Fähigkeit, langfristig an der Verwirklichung ihrer Ziele zu arbeiten. Ihr Vater, Gilbert Moses, der 1995 starb, war ein erfolgreicher Film- und Fernsehregisseur, der unter anderem für die TV-Serie Roots verantwortlich zeichnete und auch den Kultfilm Willy Dynamite gedreht hatte. Er brachte ihr nicht nur bei, dass sich harte Arbeit immer lohnt, sondern prophezeite seiner Tochter kurz vor seinem Tod, dass sie bei Virgin Records unterkommen würde. Seine Hoffnung bestätigte sich dann wirklich, als China bei Source, einem französischen Virgin-Label, ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb. Ihre erste, 1996 veröffentlichte Single „Time“, zu der Jean-Baptiste Mondino einen vielbeachteten Videoclip drehte, war ein guter Karrierestart. Seitdem hat die Sängerin drei Alben veröffentlicht – „China“ (1997), „On Tourne En Rond“ (2000) und „Good Lovin‘“ (2004) – sowie mit einer Reihe von renommierten Künstlern zusammengearbeitet, darunter Me’shell Ndegeocello, Etienne de Crécy, Guru, Camille, Diam und DJ Mehdi, was ihren guten Ruf in der Welt des Rhythm’n’Blues festigte.

Die Karriere des Pianisten Raphaël Lemonnier war dagegen stärker auf Jazz ausgerichtet. Sein Debüt gab er in der Nîmes Big Band unter der Leitung von Jeff Gilson und später Roger Guérin. 1986, während eines einjährigen Aufenthalts in New Orleans, spielte er in Guy Labory’s Creole Jazz Band und entwickelte eine Vorliebe für Boogie-Woogie, dessen Kunst er unter den Fittichen von Philippe Lejeune vertiefte. Zu seinen weiteren Lehrern auf dem Weg zum professionellen Musiker gehörten Philippe Duchemin und die Jazz-Koryphäe Jaky Byard, bei dem er 1997 in New York Piano studierte. In den USA veröffentlichte er auch sein erstes Album, „Raphaël Lemonnier Trio“, eine Hommage an Errol Garner, den er neben Oscar Peterson, Earl Hines und Count Basie zu seinen wichtigsten Einflüssen zählt. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich studierte er Musikliteratur unter Ivan Jullien und veröffentlichte sein nächstes Album, „Septet Jazz“, das er Billy Strayhorn und Duke Ellington widmete. Im Jahr 2004 produzierte er gemeinsam mit Chris Gonzales für das Theater von Nîmes die Show „Dancing“. Mittlerweile fest integriert in der französischen Jazzszene, hat er in letzter Zeit zahlreiche Auftritte mit der Sängerin Liz Newton absolviert, etwa beim Jazz Festival in Tanger, im Village Gate, beim Festival Jazz in Montauban und dem 24 Hours of Swing Festival in Monségur. Er komponiert auch regelmäßig Musik für den Kulturfernsehsender ARTE.

Diese beiden Künstler zusammenzubringen, bedurfte es nicht nur der gemeinsamen Leidenschaft für Jazz, die auch bei China Moses ein fester Bestandteil ihres Werdegangs ist, sondern auch einer passenden Gelegenheit. Die bot sich bei einem Konzert der avantgardistischen Gesangskünstlerin Camille im Pariser Café de la Danse, bei dem sie nicht nur China als Backgroundsängerin verpflichtet, sondern für zwei Songs auch Raphaël als Gastpianisten eingeladen hatte. Als Raphaël, der sein Gehör so gut geschult hat, dass er für besondere Talente immer empfänglich ist, China zum ersten Mal singen hörte, fragte er sie gleich, ob sie nicht Lust hätte, an dem Showprojekt „Dancing“ mitzuwirken. Von da an fügte sich alles schicksalhaft zusammen. Bei einer Autofahrt durch die Camargue hörten sie im Radio einen Song von Dinah Washington und stellten fest, dass sie beide die legendäre Jazzsängerin tief verehren. Raphaël war schon lange ein Fan von Washington und China hatte schon als Kind deren Songs heimlich im Haus ihrer Großmutter gehört, weil diese fand, die Songtexte seien für Kinder ungeeignet.

Warum sollten sie nicht einmal ein Programm zusammenstellen, das ganz Dinah Washington gewidmet ist? Stéphane Kochoyan, der Programmdirektor des Nîmes Métropole Jazz Festivals, war auf Anhieb begeistert, und so nahm das Projekt unter dem Titel „Gardenias For Dinah“ schnell Form an. Der Schauspieler Henry Le Ny wurde verpflichtet, zum Auftakt des Programms ein Porträt über Dinah Washington darzubieten, während im Hintergrund ihre Originalaufnahmen zu hören waren, die Raphaël aus seiner eigenen Sammlung beigesteuert hatte. Bei dem darauf folgenden Konzert sang China Songs aus Dinahs Repertoire und wurde dabei neben Raphaël von Régis Maurette (Schlagzeug) und Alain Resplandin (Bass) begleitet, die bei späteren Konzerten von Jean-Piere Dérouard respektive Fabien Marcoz ersetzt wurden. Angespornt von dem Erfolg der Show, eröffnete die Band mit diesem Programm auch das Konzert von Dee Dee Bridgewater, als diese zunächst beim Nuit des Jardins Festival in Nîmes und anschließend bei den Jazzfestivals in Montauban und Monségur auftrat. Die Gruppe wuchs mit jedem Konzert stärker zusammen, so dass der nächste Schritt sich fast natürlich ergab: ein Tribute-Album aufzunehmen. Für „This One’s For Dinah“ schrieb Raphaël alle Arrangements und traf die Songauswahl gemeinsam mit China. Die Orchestrierung übernahm François Biensan, der auch die Bläsersektion zusammenstellte: er selbst an der Trompete sowie Fréderic Couderc (Saxophon), Aurélie Tropez (Saxophon, Klarinette), Jean Onesta (Posaune) und Daniel Huck (Saxophon). Die Begleitband bildeten Jean-Pierre Dérouard (Schlagzeug), Fabien Marcoz (Bass) und Raphaël Lemonnier (Piano). Die Aufnahmen entstanden auf ganz traditionelle Weise: Alle Musiker spielten zusammen und die besten Aufnahmen wurden schließlich für das Album ausgewählt.

Für die Sängerin China Moses waren die Aufnahmen vielleicht die größte Herausforderung, galt es doch, der facettenreichen Persönlichkeit ihres großen Idols Dinah Washington gerecht zu werden. Bekannt geworden als die Königin des Blues, zählte Dinah Washington zu den bedeutsamsten Sängerinnen der 1950er und 1960er. Geboren wurde sie unter dem Namen Ruth Lee Jones am 29. August 1924 in Tuscaloosa, Alabama. Schon in jungen Jahren kam sie nach Chicago und spielte dort in der Kirche Orgel, trieb sich aber auch in der dortigen Clubszene herum. Von der seinerzeit bekannten Gospelsängerin Sallie Martin wurde sie auf Tournee eingeladen, zunächst als Pianistin, später auch als Sängerin, wobei ihre Gesangskunst von den Manierismen der Gospelsänger geprägt wurde. Die nächste Station war das Orchester von Lionel Hampton (1943-1946), wo sie der Legende nach den Namen Dinah Washington annahm, weil dieser besser vermarktbar war. 1946 unterschrieb sie bei Mercury und nahm eine Reihe von Bluesstücken auf („TV Is The Thing This Year“, „Long John Blues“), deren Zweideutigkeiten besonders das schwarze Publikum entzückten und die Künstlerin an die Spitzen der Charts führten. Mit „I Don’t Hurt Anymore“ (1953) festigte sich ihr Erfolg und bei ihrem Bestreben, auch das weiße Publikum zu erobern, gelang ihr mit „What A Difference A Day Makes“ 1959 eine der 50 erfolgreichsten Aufnahmen des Jahres. Stilistisch stets flexibel, machte sie Aufnahmen mit Größen wie Max Roach, Clifford Brown, Eddie Davis, Clark Terry und Wynton Kelly. Ihre Bühnenauftritte waren geprägt von untrüglich melodischem Gespür, makellosem Timing, kristallklarer Betonung und der Fähigkeit, ihren persönlich gehaltenen Interpretationen das rechte Maß an Gefühl zu verleihen. Quincy Jones gelangen damals einige Arrangements für die Sängerin, die zu ihren besten zählen. Als sie 1962 Mercury verließ, machte sie noch einige Aufnahmen für das Label Roulette, die zuweilen ein wenig kommerzieller waren, aber stets von superber Qualität. Es war dann eher ihre komplexe Persönlichkeit und ein unsteter Lebenswandel, der dramatische Folgen zeigte. Besonders ihr stürmisches Privatleben, das eine beeindruckende Zahl von Ehemännern und Liebhabern verzeichnete, stand unter keinem glücklichen Stern. Auf ihre unübersehbare Gewichtszunahme reagierte sie empfindlich und nahm Diättabletten. In der Nacht des 14. Dezember 1963 starb sie an einer fatalen Mischung aus Alkohol und Schlaftabletten. Dinah Washington war gerade mal 39 Jahre alt. Ihre ungewöhnlichen künstlerischen Fähigkeiten erstreckten sich über Blues, Jazz, Gospel und lupenreinen Pop. Zu ihren großen Verehrerinnen, in denen das Vermächtnis von Dinah Washington weiterlebt, zählen Dionne Warwick, Esther Phillips, Nancy Wilson, Etta Jones und Diana Ross.

Höher hätte die Messlatte für China Moses kaum liegen können. Doch ihre kongeniale Mixtur aus künstlerischer Intelligenz und gutem Geschmack bestärkte sie darin, dass bei einem angemessen Tribut an Dinah Washington das Temperament dominieren muss. In diesem Punkt konnte China ganz ihrem Talent vertrauen. Es ist schon beeindruckend, wie sehr sie offenbar die Welt von Dinah Washington verinnerlicht hat. Wenn sie den Blues singt, bringt sie ihn in Eigenkompositionen wie der Hommage „Dinah’s Blues“ ebenso zum Glühen wie bei ihren Interpretationen von „Evil Gal Blues“, „Fat Daddy“ und „Fine Fine Daddy“, wobei letztgenannte Nummer das Album mit hinreißendem Drive und im Stile einer klassischen Big Band eröffnet. China kann sich auch auf bemerkenswerte Art und Weise Standards zu Eigen machen, was sie mit ihren Versionen von „Cry Me A River“ und „Goodbye“ unterstreicht. Die Arrangements rücken dabei stets ihre Stimme in den Mittelpunkt, die sie bei „Mad About The Boy“ und „Teach Me Tonight“ mit großer Zurückhaltung und enormer Sensitivität einsetzt. Natürlich verzichtet sie auch nicht auf Dinahs großen Hit „What A Difference A Day Makes“ und als kleines Juwel entpuppt sich auch die Eigenkomposition „Gardenias For Dinah“, mit dem dieses superbe Projekt ursprünglich begonnen hatte und das nun den Schlusspunkt setzt. Jeder der beteiligten Musiker brachte sich bei den Aufnahmen so gut ein, dass man den guten Geist, der im Studio geherrscht haben muss, förmlich spürt. Mit „This One’s For Dinah“ setzen China Moses und Raphaël Lemonnier einer Legende ein denkbar vitales und zeitgemäßes Denkmal. Dass dabei das Scheinwerferlicht ganz hell auf China Moses fällt, liegt in Anbetracht ihrer phänomenalen Stimme auf der Hand. Bleibt zu hoffen, dass sie nun hierzulande ebenso mit offenen Armen empfangen und gefeiert wird, wie dies bei unseren französischen Nachbarn schon vor geraumer Zeit geschehen ist.