Bern, Brody & Rodach – Triophilia

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Bern, Brody & Rodach – Triophilia

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Triophilia_Cover-01 Diese Musik wächst und wächst mit jedem Hören. Viel zu gut ist jeder der drei Beteiligten, als dass er muskelspielerisch seine Virtuosität ausstellen müsste. Vielmehr hört man dieses unbeflissene Jonglieren mit den Ingredienzen. Die werden nicht im Sinne von Versatzstücken geklittert, sondern gehen ganz selbstverständlich, fast beiläufig in das große Ganze ein. Diese Musik drängt sich nicht auf, sie entwickelt ihre Überzeugungskraft aus Subtilität und Raffinesse. Die Klangbilder sind unverbraucht, luftig und leicht in diesem magischen Dreieck. Drei Freunde machen ihre transparente Musik und malen mit großer Palette. Das gibt ein ganz und gar unverwechselbares Bild. Die Klänge changieren ineinander, wie schwebend und doch präzise auf den Punkt.

Zum Jazzfest 2003 der Berliner Festspiele wurde die Band geboren. Seither traf man sich immer wieder, um aus den sauber beschrifteten Schubladen zu springen. Zwei Amerikaner und ein Deutscher im Fokus Berlin, die sich lange kennen und Freunde sind. Klavier/Melodica/Akkordeon, Trompete und Gitarre: Das ist keine alltägliche Besetzung. Das oft belächelte Akkordeon ist heute zum vieles und viele verbindenden Sympathieträger geworden. Alan Bern ist maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung. Man höre zum Beleg nur sein im Jahr 2000 mit Guy Klucevsek eingespieltes Akkordeon-Duoalbum „Accordance“. 17 Preziosen als zeitgenössisches Road-Movie mit Aufenthalten im Jiddischen, Osteuropäischen und Südamerikanischen, bei den alten Welten in der neuen. Alan Bern aus Bloomington (Indiana) begann als klassischer Pianist. Später übersetzte er für sich die musikalischen und kulturellen Revolutionen der sechziger Jahre. Zwei Jahre verbrachte er am legendären Creative Music Studio in Woodstock, New York, mit John Cage, dem Art Ensemble of Chicago, Anthony Braxton, Carla Bley, Karl Berger und anderen. Das begründete seine lebenslangen Erforschungen zwischen Improvisation und Komposition, zwischen der Tradition und dem Neuen. Das fand seinen Ausdruck in über zwanzig Jahren als Pionier der Neuen jüdischen Musik und als Chef von Brave Old World.
Vor gut 20 Jahren kam er nach Berlin. Seit gut zehn Jahren kennt er Paul Brody. Weil der vor Ort in Europa der Geschichte seiner Familie nachgehen wollte, kam er vor 15 Jahren aus Kalifornien nach Berlin. In Boston hatte er klassische Trompete studiert, bald danach engagierte ihn eine Duke Ellington-Broadway-Show, mit der er auf den alten Kontinent kam. Und er blieb. Neugier nämlich ist eine Vokabel, die sein Wesen auf den Punkt bringt. Wie in einem Spagat über den großen Teich hat er seither in Berlin und in New York bei John Zorns Tzadik-Label aufgenommen. Seine Musik ist wie ein Wildern in konkreten oder imaginierten Landschaften, mal unterm Himmel über Berlin, mal in der endlosen Prärie der Erinnerungskulissen. Immer ist da dieser Humor, der mit den Elementen spielt, sie mal abgründig schräg, mal triefend vor ironischer Nostalgie, aber immer unverhofft neu arrangiert. Weniger ist mehr. Diese Haltung verbindet alle drei Musiker miteinander. Deswegen spielen sie oft und gern zusammen. Immer ist das eine Entdeckungsreise.
Michael Rodach arbeitet seit Jahren konsequent an seinem Soundtrack zum Ich. Der Gitarrist ist ein Erforscher von Klanglandschaften. In seinem Studio in Berlin sucht und findet er. Im doppelten Wortsinne ist er ein Kammermusiker. Er bleibt bei sich. Beim Komponieren hält er es wie beim Steine Sammeln am Strand: Viele hebt man auf, doch die wenigsten steckt man in die Tasche. In Karlsruhe und Boston hat er erst Klassik, dann Jazz studiert, um dann in den unterschiedlichsten Konstellationen seine Fährten zu legen – bei den Elefanten, produziert von Teo Macero, oder auf Tour mit Klarinettist Perry Robinson bis hin zum Blues-Duo mit David Moss. Seine Soloaufnahmen ebenso wie diverse Kompositionen für Ballett, Film, Hörspiel und Theater verblüffen durch Fantasiefinten, die Jazz, Klassik, Pop, Ambient, Folk, Blues, Rock und Geräusche in feinsinniger Gestimmtheit verschmelzen. Mehr als die Hälfte der Stücke hier stammt von ihm.
Kraft, die aus der Ruhe wächst, hört und spürt man in der Musik dieses gleichberechtigten Trios, logische Übergänge von freier Improvisation in überraschende Themen und vice versa, laut und leise, Heiterkeit und Melancholie und dieses kurzweilige Spiel mit Assoziationsketten. „Heschel“ etwa ist nach dem polnisch-amerikanischen Theologen und Philosophen Abraham Joshua Heschel benannt, der viel über den Platz des Betens im Leben nachgedacht hat. Heschel-Hecheln-Atmen – das ist so eine Kette. „Ein langer Ton auf der Trompete ist manchmal so tief und bedeutungsvoll wie ein Gebet“, fasst das Brody zusammen. Oder da ist zum Beispiel in Rodachs „Baleias“ der Einfluss von Gil Evans: Immer wieder gehen Türen auf, und man ist plötzlich woanders. „Bartoki“, inspiriert von Bela Bartóks Feldforschungen, versöhnt Tradition und Moderne – ein sich über einer chromatischen Basslinie ausbreitender Bluesriff, konterkariert vom Piano. Und das sehr emotionale „Angel Blue” von Alan Bern macht einen fiktiven Raum zwischen dem Mississippi Delta und Madagaskar bewohnbar.
Das alles und mehr ist in dieser Musik, die auch und vor allem deswegen so sinnlich wird, weil sie souverän mit all dem spielen kann. Einfach spielen. Und irgendwann ist man sicher: Das alles muss genau so sein. Und die Verhältnisse tanzen.
Text: Ulrich Steinmetzger