Lila Downs – Shake Away

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Lila Downs – Shake Away

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(Blue Note, VÖ: 31.10.08)
Lila Downs zählt zweifellos zu den faszinierendsten zeitgenössischen Künstlerinnen des amerikanischen Kontinents, vereint die schillernde Sängerin mit der über mehrere Oktaven schnellenden Stimme lateinamerikanische, nordamerikanische und indigene musikalische Kulturen doch so souverän und originell wie kaum eine andere Musikerin. So farbenfroh und verspielt wie die mexikanisch-amerikanische Künstlerin sich zu kleiden pflegt, gestaltet sie auch ihre Alben. „Shake Away“, aufgenommen in New York und Mexiko City, bildet da keine Ausnahme.
Auf ihrem ersten Studioalbum für EMI Manhattan begibt sie sich einmal mehr auf einen abenteuerlichen Streifzug, auf dem ihr immer wieder wagemutige Symbiosen gelingen. So paart sie auf dem Titelsong „Shake Away“, spanisch „Ojo De Culebra“, Elemente des kolumbianischen Cumbia und der Folklore der Anden zu einer zündenden Einheit und verzahnt auf ihrer spirituellen Interpretation des Fleetwood-Mac-Klassikers „Black Magic Woman“ New-Orleans-Brass und Mexican-Mariachi, als wäre das selbstverständlich.
Ihren künstlerischen Horizont hat Lila Downs auf ihrem nunmehr achten Album zudem um einige Facetten erweitert. Wer – außer vielleicht Manu Chao – paart schon fidelen Klezmer mit rassigem Ranchera („Perro Negro“)? Und eine so geradlinige Countryballade wie „I Would Never“ hat es auf ihren Alben bisher ebenso wenig gegeben. In dieser Form könnte der „Frida Kahlo der World Music“, wie Lila Downs wegen ihrer Ähnlichkeit mit der berühmten Malerin gerne genannt wird, endgültig der weltweite Durchbruch gelingen. Zu dem überbordenden stilistischen Reichtum von „Shake Away“ und dem politisch wie sozial motivierten Kämpferherz seiner großen Protagonistin kommen einige bemerkenswerte Gastauftritte von Blue-Note-Shootingstar Raul Midón bis hin zur Latin-Legende Mercedes Sosa, die „Shake Away“ zum triumphalen grenzübergreifenden Unternehmen machen.

Lila Downs, die Tochter der mixtekischen Sängerin Anita Sanchéz und des schottisch-amerikanischen Kunstprofessors Allen Downs, wird am 19. September 1968 in Tlaxiaco im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca geboren und singt schon als Kind in Mariachi-Bands. Nachdem sich ihre Eltern trennen, wächst sie abwechselnd in Oaxaca, Kalifornien und Minnesota auf, wo sie an der Universität von Minnesota klassischen Gesang und Anthropologie studiert. Ihr Studium bricht sie zwischenzeitlich ab und reist als Fan von Grateful Dead der Band auf deren Tourneen hinterher und verkauft selbstgemachten Schmuck. Bevor sie ihr Studium Anfang der Neunziger wieder aufnimmt, forscht sie in ihrer mexikanischen Heimat nach ihren indigenen Wurzeln. Nach dem Abschluss ihres Studiums geht sie zurück nach Oaxaca, wo sie in dem Geschäft ihrer Mutter arbeitet und in diversen Bands singt. Erst als sie den Exilamerikaner Paul Cohen kennenlernt, einen Jazzmusiker und ehemaligen Zirkusclown, und mit diesem eine bis heute anhaltende private und künstlerische Liaison eingeht, nimmt ihre Solokarriere erste Formen an. Gemeinsam mit Cohen erforscht Lila Downs unterschiedliche ethnische Musikformen und beginnt mexikanische Folksongs mit Jazz, Cumbia und indianischen Rhythmen zu mischen. Im Verlaufe der Jahre integrieren die beiden nicht nur mehr und mehr Einflüsse aus den beiden Amerikas, sie engagieren auch Musiker aus Argentinien, Kuba, Kanada, Peru, Paraguay und natürlich Mexiko. Heute besteht ihre langjährige Band, La Misteriosa, aus einem multikulturellen Ensemble durchweg exzellenter Multiinstrumentalisten.

Die ersten beiden Alben von Lila Downs, „Ofrenda“ (1994) und „Azuláo: En Vivo Con Lila Downs“ (1996), erscheinen noch im Selbstverlag lediglich auf Kassette, einem damals gängigen Format in Mexiko. Doch ihre starke Persönlichkeit sowie ihre markante Stimme bleiben nicht lange unentdeckt. 1997 unterscheibt Downs bei dem Label Narada und mit ihrem Album „La Sandunga“ (1999) wird sie schnell auch außerhalb Mexikos bekannt. Dass sie nicht nur auf Spanisch und Englisch singt, sondern auch immer wieder auf die indigenen Sprachen Maya, Mixtekisch, Nahuatl und Zapotekisch zurückgreift, ist dem exotischen Reiz der Sängerin ebenso zuträglich wie die Eigenart, ihr Mezzosopran immer wieder wie eine Operndiva einzusetzen. Die stimmgewaltige Künstlerin ist aber auch für ihre Scharfzüngigkeit bekannt. So widmet sie ihr
Album „The Border“ (2001) allen Migranten und besonders den unglücklich an der Grenze zwischen Mexiko und den USA verstorbenen illegalen Einwanderern. Ihr Engagement für Migranten ist eines ihrer dringlichsten Anliegen. Noch heute zählt sie ihren Auftritt im Hollywood

Bowl bei dem vom Dalai Lama organisierten World Festival of Sacred Music aus dem Jahr 1999 zu den Highlights ihrer Karriere. „Ich sang auf Mixtekisch, der Muttersprache meiner Mutter. Dort in Kalifornien waren so viele Mixteken im Publikum, die sonst Teller waschen und die Felder bestellen. Deren stehende Ovationen waren der intensivste Moment meines Lebens. Ich dachte, ok, ich habe meinen Job gemacht, nun kann ich sterben.“ Einen weiteren außergewöhnlichen Auftritt hat Lila Downs (an der Seite von Caetano Veloso) 2003 bei der Verleihung der Academy Awards, wo ihr Song „Burn It Blue“ aus dem Film „Frida“ für einen Oscar nominiert ist. In dem gefeierten Film, in dem Salma Hayek die mexikanische Malerin Frida Kahlo verkörperte, hat Lila Downs einen Auftritt als Sängerin und steuert einige Songs zu dem Soundtrack bei. Die vorläufig größte Anerkennung als Musikerin erfährt sie 2005 mit dem ersten Latin Grammy, der ihr für das Album „Una Sangre (One Blood)“ (2004) verliehen wird.

Während sie auf ihrem letzten Album „La Cantina“ (2006) klingt, als habe sie hier folkloristisches Treibgut aufgegriffen und mit Chuzpe und Herzblut auf Hochglanz getrimmt, hat sie sich mit „Shake Away“ ganz neue Perspektiven und Blickwinkel eröffnet. Eine unerwartete Wende in westlicher Richtung bietet etwa „Minimum Wage“, ein Song, dessen Titel eigentlich alles erklärt. Dieses Lied für Menschen, die für ihr einfaches Glück kämpfen müssen, ist als erstklassiger Südstaaten-Blues-Shuffle angelegt wie ihn etwa Ry Cooder liebt. „Little Man“, das inhaltlich einen ähnlichen Ton anschlägt, wartet wiederum mit jenem stimmungsaufhellenden Tex-Mex-Temperament auf, mit dem einst Los Lobos Furore machten. Ein grandioser Opener. Mit etwas mehr Chili aufgeladen kommt „Perro Negro“ daher. Gemeinsam mit Rubén Albarrán (Café Tacuba) als Duettpartner nutzt sie ein Märchen als bittere Metapher für korrupte Diktatoren. „Ich wollte jemanden mit Feuer im Herzen und Wahrheitsliebe. In unserem Land traut man sich nicht zu sprechen. Ich hoffe, dass meine Musik zur Diskussion über Gerechtigkeit ermutigt. Ich habe auf ‘Shake Away‘ versucht, die Dämonen, die an meiner Seele nagen, auszutreiben. Menschen wie Rubén haben den Effekt einer Machete“.

Zu den weiteren, mal mehr, mal weniger prominenten Gästen zählen die Flamencosängerin La Mari auf „Ojo De Culebra“, der spanischen Version des Titelsongs, Enrique Bunbury (Héroes del Silencio) auf „Justicia“, der Mexikaner Gilberto Gutierrez (Mono Blanco) beim Traditional „Los Pollos“ sowie die bereits erwähnten Mercedes Sosa, die einen Hauch Schwermut über „Tierra De Luz“ legt, und Raul Midón, der „Black Magic Woman“ mit seinem Gesang und Gitarrenspiel bereichert. Noch außergewöhnlicher als diese Coverversion ist Lila Downs Wahl, „I Envy The Wind“ von der kalifornischen Sängerin und Songwriterin Lucinda Williams zu adaptieren, was ihr mit einer zusätzlichen Prise Jazz ausgezeichnet gelingt. Last but not least „I Would Never“, komponiert von Paul Buchanan, dem Bandleader der schottischen Kontemplativrocker Blue Nile. Abgesehen davon, dass sie hier in gewisser Weise erstmals auf den ethnischen Spuren ihres Vaters wandelt, klingt sie auf dieser vorzüglichen Ballade wie eine luzide Mischung aus Joan Baez und Joni Mitchell. Mit „Shake Away“ ist Lila Downs ein panamerikanisches Kaleidoskop der Klänge, Farben und Stimmungen gelungen, das ihrer internationalen Karriere weiteren Auftrieb verschaffen wird. Am 12. November kann man sich bei ihrem Konzert in Berlin (Kesselhaus) im Rahmen ihrer Shake Away Record Release Tour von ihrer Klasse selbst überzeugen.