(Mouthwatering Records, VÖ: 07.04.2017)

JPTR is Everything! Das Zürcher Avant Pop Duo JPTR, inszeniert sich oft als ein einzelnes Wesen, nämlich als Verschmelzung der beiden Musiker/innen Andrina Bollinger aka KIU (Gesang, Schlagzeug) und Ramón Oliveras IKARU (Schlagzeug, Gesang). Im Gegensatz zu den meisten Bands, ist der visuelle Aspekt bei JPTR nicht bloßes Addendum, sondern ein untrennbarer Teil ihres Schaffens und oft der Schlüssel zur Musik. Ähnlich eines Produktionshauses verstehen sich die beiden zusammen mit Visual-Artist und Texter Olivier Baumann als Kreativ-Kollektiv. Letzterer zeichnet sich für das visuelle Konzept und Verbindung von Texten, Songs und Videos verantwortlich. Dabei findet im Kollektiv ein konstanter und intensiver kreativer Dialog über die Identität von JPTR statt. Im Jahr 2016 alleine hat das Kollektiv 12 Songs aufgenommen und produzierte insgesamt 8 Musikvideos (von denen bis heute sechs veröffentlicht wurden). Die Videos wurden unabhängig und nach einem streng ästhetischen und konzeptionellen Plan produziert und von einflussreichen Medienportalen wie xlr8r, the Line of Best Fit, NBHAP etc. präsentiert.

Die Musik JPTRs ist vor allem eines – roh. Die Arrangements bestehen einzig aus Gesang und Schlagzeug, alle anderen Klänge sind das Ergebnis ausgeklügelten Sounddesigns. Die Vielfalt, das dynamische und stilistische Spektrum der Musik ist verblüffend. Vom unkonventionellen Ende des Pop-Spektrums, über Avant-Noise-Art bis zu Indie Electronica wird alles abgedeckt. Der akustischen Machart zum Trotz entsteht durch Bearbeitung und Spielart die Illusion elektronischer Klangmittel. Das hat viel mit den Fähigkeiten von IKARU und KIU als Musiker/innen und ihrer symbiotischen Klangmischung zu tun. Während das Schlagzeug ein Fundament aus eigenwilligen Grooves und spannungsreichen Texturen bildet (etwas für Brainfeeder-Fans), schöpft der Gesang aus der Vielfalt des menschlichen Stimmorgans. Das Faszinierende an JPTRs Musik ist jedoch vor allem, dass die Reduktion und das enge Korsett der Instrumentierung nicht als solche wahrgenommen wird, denn die Songs besitzen eine Anziehungskraft, der man sich nur schwer entziehen kann.

Während die Musik von einer Art Archaik und Körperlichkeit lebt – die Songs entstehen aus der Improvisation von Rhythmen und Melodien – stellen die Texte, als sorgfältig konstruierte Einheiten, den Gegenpol dazu dar. Sie entstehen aus dem Versuch heraus, aus den kompakten Song-Formen maximale Potenz herauszuholen und verfolgen dabei eine klare Agenda. Das Themenspektrum ist breit, wird aber durch einen gesellschaftskritischen Blickwinkel auf einen Nenner gebracht: Geschlechtergleichstellung (Attack), die Umkehrung der Geschlechterrollen im Schlafzimmer (Boyfriend), die sensorische und intellektuelle Überlastung des Internetkonsums (Jesus Christus JPTR), die dunkle Seite des “Europäischen Traums” im Kontext der Flüchtlingskrise (Europa), die Macht der weiblichen Masturbation (Masterbabe), der historische Ursprung des Transgender (Transformers), etc. Die Wortspiele sind herb, packend, verspielt und gespickt mit Referenzen aus Wissenschaft, Geschichte und politischer Theorie. Transformers verweist zum Beispiel eindeutig auf die Kultdokumentation über die „Voguing“-Szene der 90er in NYC (Paris is Burning). Geschrieben ist der Song jedoch aus der der Sicht von Emily du Chatelet, einer französischen Mathematikerin und Philosophin, die als eine der ersten Transgender-Personen (im Geiste) zitiert wird. Aber auch wenn sich diese und andere Referenzen zunächst nicht erschließen, die Musik fährt auch so ein.

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