Van Morrison – Born To Sing : No Plan B

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Van Morrison – Born To Sing : No Plan B

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CovershotBornToSingNoPlanB (EMI Blue Note, VÖ: 28.09.2012)
Der Untertitel des neuen Van Morrison-Album Born To Sing: No Plan B sagt vieles über die noch immer relevante musikalische Aussagefähigkeit dieser lebenden Legende aus. „No Plan B heißt einfach: Dies ist keine Probe“, erklärt Morrison. „Es soll klarstellen – es ist kein Hobby, es ist real, es geschieht jetzt, und zwar in Echtzeit.“

Genau diese resolute Überzeugungskraft prägt Morrisons revolutionäre Arbeit seit beinahe fünfzig Jahren und ist auch auf seinem 53. (in Worten: dreiundfünfzigsten!) Werk als Solokünstler präsent wie eh und je. Morrisons Karriere ist nicht nur mit Erfolgen und Auszeichnungen gepflastert (ein Brit Award, ein OBE, ein Ivor Novello, sechs Grammys, Ehrendoktortitel an den Universitäten von Belfast Queens und Ulster, die Aufnahme in die ‚Rock and Roll Hall of Fame‘ und den französischen Ordres Des Artes Et Des Lettres), sie hat die Popmusik neu definiert – nicht mehr und nicht weniger. Die zehn neuen Eigenkompositionen auf Born To Sing, sein erstes Album nach der bisher längsten Veröffentlichungs-Pause von vier Jahren, zeigen einen Künstler, der noch immer imstande ist, die Messlatte für seine kreativen Parameter ein Stückchen höher zu legen.
„Es geht nicht nur um ein Thema“, sagt er über die Texte. „Einige behandeln die Weltkrise, andere sind eher mystisch. Egal welche Ideen ich habe, es gibt dafür keine bestimmte Reihenfolge. Eigentlich wäre es auch uninteressant, wenn alles geplant ist – denn dann gäbe es keine Überraschungen mehr.“
Laut Morrison ist der außergewöhnlichste Moment dieser Scheibe seine Meinung zur globalen Finanz- und Bankenkrise. Die Wut auf den Materialismus und die Gier, die die Gesellschaft vergiftet hat, wird schon im Opener thematisiert, dem lebhaften Soulstück “Open The Door (To Your Heart)”: „Money doesn’t make you fulfilled/Money’s just to pay the bills.“
Dasselbe Thema erscheint immer wieder auf Born To Sing, eindeutiger Höhepunkt dürfte das letzte Stück “Educating Archie” sein. Der Titel bezieht sich sowohl auf einen falschen Bauchredner aus einer populären BBC-Radio-Sendung aus Morrisons Jugend als auch auf den Arbeiter-Antihelden Archie Bunker. Beide repräsentieren Otto Normalverbraucher, den der Sänger mit den Worten warnt: „You’re a slave to the capitalist system/Which is ruled by the global elite.“
Eigentlich war Morrison bis dato noch nicht als Protestsänger aufgefallen und auch diesmal versteht er sich nicht als Ãœberbringer von politischen Botschaften. „Ich protestiere nicht, sondern beobachte das Zeitgeschehen – wie Lenny Bruce einst sagte: ‚Observation, Baby!‘. Vor ungefähr zwei Jahren begann alle Welt über Geld, Geld, Geld zu reden, und daher kommt die Inspiration für die Stücke. Die Menschen in meiner Umgebung oder woanders diskutieren ständig, und ihre Ideen inspirieren mich als Künstler zwangsläufig.”
Das faszinierendste Beispiel dafür dürfte “If In Money We Trust” sein, eine Art Meditations-Song darüber, wie das Geld Gott im Zentrum des modernen Glaubenssystems ersetzt hat. „Die Idee dazu kam mir durch eine Dollarnote, wobei ich das Konzept einfach umgedreht habe“, erklärt er. „Ich fragte mich, was die Aussage auf dem Schein wohl bedeuten solle? Für viele Menschen ist Geld gottgleich, wie wir in der Vergangenheit erfahren durften, aber was passiert dadurch – was geschieht, wenn du keins hast oder nicht genug?“
Der Song stellt auch die Verbindung zu seiner speziellen Art von Spiritualität und Mystizismus her, die beide immer schon als zentrale Themen in Morrisons Gesamtwerk fungierten, von frühen Meilensteinen wie Astral Weeks und St. Dominic’s Preview bis zu aktuelleren Triumphen wie The Healing Game und The Philosopher’s Stone. Auf den Klageruf “Where’s God?” im Refrain von “If In Money We Trust” folgte unmittelbar ein wabernder Blues namens “Pagan Heart”, in dem er den Zuhörer auf eine verzaubernde Suche mitnimmt: “Down by the crossroads/Down by the Arcadian groves”. Andere Stücke wie “Retreat And View” oder “Mystic of The East” illustrieren Morrisons immer noch währende Erkundungsreise nach dem Sinn des göttlichen Mysteriums.
Aber: „Das sind alles bloß Ideen“, beschreibt er die verschiedenen Sichtweisen und Perspektiven auf Born To Sing. „Es sind nicht meine Überzeugungen, ich will um Gottes Willen nicht missionieren, das hier ist beileibe kein in Stein gehauenes Manifest. Songs stellen nur Ideen und Konzepte dar; man stellt einfach ein Mikro hin, mehr nicht. Aber: Wo steht geschrieben, dass man keine andersartigen Ideen haben darf? Warum also nicht? Warum soll man keine anderslautenden Ideen haben?“
Von Anbeginn seiner Karriere konnte Van Morrison die Einflüsse solcher Giganten wie Hank Williams, Jimmie Rodgers, Muddy Waters, Mahalia Jackson, und Leadbelly für sich kanalisieren. Seine Musik hat Grenzen immer schon ignoriert und alle Klientel bedient: vom swingenden Soul-Jazz (Moondance) bis zum traditionellen keltischen Stil auf Irish Heartbeat. In den letzten Jahrzehnten konnte und durfte er außerdem mit den verschiedenartigsten Kollegen zusammenarbeiten, darunter John Lee Hooker, Mose Allison und Tom Jones. Weitere Projekte beschäftigten sich mit neuen Ansätzen seiner Blues-, Jazz, Skiffle- und Country-Wurzeln, der Mann stand niemals in seinem Leben still.
Born To Sing wurde live im Studio mit einer sechsköpfigen Band aufgenommen (plus Morrison am Klavier, an der Gitarre und am Alt-Saxophon) und hat seine erwähnten musikalischen Wurzeln zu einem unverkennbaren Markenzeichen vermischt, das unmöglich zu imitieren und zu kategorisieren ist. Ein Song, das leicht-füßige “Close Enough for Jazz” zum Beispiel, war ursprünglich als Instrumental geplant, bevor sich Morrison erst viel später dazu entschloss, einen Text hinzuzufügen. Warum? „Ich denke nicht in Schubladen”, betont er. „Es ist ein Mix aus Allem, ein Sammelsurium jeder Art von Musik und meiner ganzen Einflüsse; man hofft am Ende, dass etwas Neues dabei herauskommt. Ray Charles war schon immer mein großes Vorbild – er machte alles, er hat sogar den Country neu erfunden.“
Mit diesem Album kehrt Morrison auch wieder zum legendären Blue Note-Label zurück, der Heimat vieler seiner Jazz-Idole, auf dem er zuletzt 2003 What’s Wrong With This Picture? veröffentlicht hatte. Für den Sänger ist diese Verbindung eine sehr bedeutsame. „Mein Vater besaß ziemlich viele dieser alten Blue Note-Platten“, erinnert er sich. „Eine meiner ersten eigenen war Sidney Bechets ‘Summertime’, ebenfalls auf Blue Note erschienen.“
Obwohl es der Albumtitel suggeriert, wusste Morrison nicht sofort, ob er wirklich zum Sänger geboren worden sei. „Erst mit 15 oder 16 Jahren, in meinen ersten Bands, merkte ich, dass ich das Singen zu meinem Job machen könnte“, blickt er zurück. „Ich war doch nur ein kleiner Junge, der seinen Weg im Leben machen wollte. Es gab kein einschneidendes Erlebnis oder etwas wie eine Offenbarung – so funktioniert das nämlich nicht.“
Aber seitdem hat Van Morrison unerlässlich Offenbarungen, wie heißt es so schön neudeutsch, geliefert – und das nicht nur seinen Fans auf der ganzen Welt. Mit Born To Sing stellt er der Zeit der Dauerkrisen Trost und Erkenntnis, Visionen und Wunder, aber auch unvergleichlichen Soul gegenüber, der zeigt, was passiert, wenn Musik von Herzen kommt, gemacht ohne einen Plan B.