Amos Lee – Last Days At The Lodge

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Amos Lee – Last Days At The Lodge

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(Blue Note, VÖ: 31.10.08)
Amos Lee ist ein stiller Star, der sich jenseits aller modischen Strömungen bewegt und zyklisch weiterentwickelt. Für sein neues Album hat der Sänger, Gitarrist und Songwriter aus Philadelphia seinen Hut abgelegt, der ihn auf den Coverphotos seiner ersten beiden Blue-Note-Alben zierte und der schon fast zum Markenzeichen geworden war. Auf „Last Days At The Lodge“ posiert der Musiker nun mit einem Vollbart und auch der Sound ist voller, will sagen beseelter geworden. Mit Don Was hat der 31-jährige Musiker einen Starproduzenten engagiert, der mit etlichen Schwergewichten des Musikgeschäfts gearbeitet hat, darunter auch B.B. King, Bob Dylan und Al Green, also jene lebenden Legenden, mit denen Lees bemerkenswerte Handschrift als Songwriter nicht selten in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich bewegen sich die Songs von Amos Lee im Schwerefeld von Folk, Soul, Rock und Jazz, ohne letztendlich fest anzudocken. Für die Aufnahmen zu „Last Days At The Lodge“, die innerhalb einer Woche in einem Studio in Los Angeles unter Dach und Fach gebracht wurden, hat sich Amos Lee eine Band aus höchst versierten und erfahrenen Studiomusikern zusammengestellt. Jazzschlagzeuger James Gadson war bereits auf Lees Debütalbum mit von der Partie und spielte schon für Bill Withers – übrigens noch eines von Lees großen Idolen. Den viel beschäftigten britischen Bassisten Pino Palladino (The Who, D’Angelo) hatte Lee in London kennengelernt, den Keyboarder Spooner Oldham (Neil Young, Aretha Franklin) auf Willie Nelsons Geburtstagsparty. Vervollständigt wird die Band von dem jungen Bluesgitarristen Doyle Bramhall Jr, der bereits mit Eric Clapton gespielt hat und in Los Angeles lebt. Mit allem gebührenden Respekt: Es ist die nominell bestbesetzte Band, die Amos Lee bisher im Studio aufbieten konnte.

Schon der Opener des neuen Albums lässt aufhorchen: „Listen“ ist vielleicht das Stück im stilistisch enorm gefächerten Repertoire des Amos Lee, das klassischer Rockmusik am nächsten steht und wie eine dieser Bob-Dylan-Beschwörungsformeln daher kommt. Dabei steckt in „Ease Me“, einer erdschweren Ballade am Ende des Albums, viel mehr klassischer Dylan. Bemerkenswert ist hier das nylonfeine Zusammenspiel von Banjo und Pedal Steel, das dem Song eine schöne Americana-Legierung verleiht. Klingt Amos Lees Stimme hier noch warm und erdig, erstrahlt sie auf der Soulperle „Won’t Let Me Go“ in exzellentem Falsett. Klar, das ist jener honigsüßer Soul, mit dem Al Green gerade ein legendäres Comeback feiert, und er ist, eingebettet in Arrangements von Larry Gold, bis in die feinste Verästelung ebenbürtig. Auf „Jails And Bombs“, wo Lee gekonnt das Private und das Politische gegeneinander setzt, weckt sein Falsett dagegen eher Erinnerungen an Marvin Gaye, von dem er offensichtlich tief inspiriert ist.

„What’s Been Going On“, was an Marvin Gayes „What’s Going On“ denken lässt, ist allerdings eine jener Akustikballaden, die eher Lees Ruf als männliches Gegenstück zu Norah Jones inspiriert haben mögen. Und „Baby I Want You“ hält in derselben Sparte selbst einen Vergleich mit Terry Calliers Sternstunden locker stand. Jeder der elf Songs ist für sich genommen ein Highlight, so dass man sich je nach Stimmung einen aktuellen Lieblingssong herauspicken kann. Als erste Wahl bietet sich das in den USA als Single veröffentlichte „Truth“ an, ein exzellent instrumentierter Southern-Talking-Blues à la J.J. Cale und zugleich eine kluge Studie über Eifersucht und andere bittere Wahrheiten. Andere mögen eher mit dem gospelgetönten „Street Corner Preacher“ sympathisieren, bei dem Amos Lee einmal mehr Partei für die Randgruppen unserer Gesellschaft ergreift. Als ehemaliger Sonderschullehrer in einem sozialen Brennpunkt von Philadelphia weiß Lee, wovon er redet.

Dass er seinen Lehrerberuf an den Nagel gehängt hat, dürfte Amos Lee nicht bereut haben. Der Musiker, der erst mit 18 Jahren Gitarre spielen gelernt hat, ist Spätstarter und Shooting Star zugleich. Von seinen ersten beiden Blue-Note-Alben „Amos Lee“ (2005) und „Supply And Demand“ (2006) wurden über eine halbe Million Exemplare verkauft und beide Longplayer ernteten reihenweise glänzende Kritiken. Schnell galt Lee als einer der talentiertesten zeitgenössischen Songwriter der USA, der gleich in den ersten Karrierejahren neben etlichen Clubgigs auch mit Größen wie Bob Dylan, Van Morrison und Paul Simon getourt ist, was sein Selbstbewusstsein und sein Selbstverständnis gestärkt haben dürfte. Auch wenn Amos Lee „Last Days At The Lodge“ als Album des Übergangs bezeichnet, hat er mit diesem Album ein künstlerisches Plateau von schwindelerregender Höhe erreicht – ganz gleich, zu welchen Höhenflügen ihn seine künstlerische Bestimmung noch tragen wird.